Haus der Sonne
irgendwas übersehen? Ach ja - mit potentieller Opposition, die ich weder analysieren noch einschätzen konnte. Toll, es wurde immer besser. Mit anderen Worten, diese Situation war das genaue Gegenteil der ›Sha-dowruns‹, die ich mir normalerweise aussuche, dachte ich trübsinnig. Ein Maximum an Bloßstellung, ein Minimum an Kontrolle, und wahrscheinlich null Rückendeckung. Blind und dumm hinein.
Num, zumindest konnte ich einige Nachforschungen anstellen. Ich stöhnte bei dem Gedanken, die nächsten vier oder fünf Stunden damit zu verbringen, ein weiteres Smartframe wie Naomi zusammenzuschustern, um alle Verbindungen aufzuspüren, die Yamatetsu als Konzern und Barnard als Individuum mit dem unabhängigen Königreich Hawai'i unterhielten. Nun, Drek, ich würde wohl auch im Flugzeug schlafen können.
Augenblick mal - vielleicht gab es noch eine andere Möglichkeit. Mir stand noch eine andere Quelle offen, die mir vielleicht etwas dazu sagen konnte. Diese Quelle schien ein fast enzyklopädisches Gedächtnis für Fakten, Fäktchen und skurrile Gerüchte über Konzerne der ganzen Welt und hochrangige Execs zu haben. Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß sie bereits persönlich mit Yamatetsu und Barnard zu tun gehabt hatte -wenngleich indirekt durch Vermittlung eines gewissen Dirk Montgomery -, konnte sie vielleicht ein wenig Licht in das Dunkel bringen, auf das ich mich einließ.
Ich beugte mich vor und hämmerte auf die Telekomtastatur ein, dann wartete ich, während es eine LTG-Nummer des Freistaats Kalifornien wählte. Zum zwei-tenmal heute nacht - offenbar war dies meine Zeit für kalte Relais - sah ich den blinkenden Icons zu, als mein Anruf über eine Reihe von Mittlerknoten geleitet wurde. Endlich blinkte das Klingelzeichen.
Jemand antwortete sofort - nur audio, was hieß, daß der Bildschirm leer blieb -, eine dünne, irgendwie asthmatische Stimme, bei der ich mir einen wieselgesichti-gen Punk vorstellte. »Do desu ka?«
»Ich will Argent sprechen«, sagte ich zu dem leeren Schirm.
Das Wiesel hielt inne. »Und wer, zum Teufel, bist du?« wollte er wissen.
»Die Tatsache, daß ich dieses Relais kenne, bedeutet, daß ich diese Frage nicht beantworten muß, oder?« stellte ich fest.
»Paß auf, Priyatel«, knurrte das Wiesel, »wenn du irgendwelche dämlichen Spielchen spielen willst, spiel sie woanders, neh?«
Ich stellte mir vor, wie er mit einem schmutzigen Zeigefinger Anstalten machte, die Verbindung zu unterbrechen, und zuckte die Achseln. »Okay, Omae«, sagte ich, »wir spielen's auf deine Art.« Es spielte ohnehin keine Rolle. »Sag Argent, daß Dirk Montgomery mit ihm reden will, okay?«
»Montgomery?« Die Stimme des Wiesels veränderte sich, und die gewohnheitsmäßige Feindseligkeit verschwand. »Hey, er hat von dir geredet, Priyatel, und mir ein paar Geschichten erzählt. Wir haben was gemeinsam, weißt du das?« Ich wollte eigentlich nicht darüber nachdenken, was das sein mochte, aber das Wiesel fuhr fort: »Wir haben uns beide vom Star abgesetzt. Na, wie ist das? Die Welt ist verdammt klein, rieh?«
»Ja«, sagte ich, einen Seufzer unterdrückend. »Die Welt ist verdammt klein. Und du bist...?«
»Du kannst mich Wolf nennen.«
»Aha.« Ich versuchte es noch einmal. »Ich muß mit Argent reden, Wolf.«
»Ist nicht drin, Priyatel, er ist auf der anderen Seite der Mauer und nicht im Sprawl. Geschäftlich unterwegs.«
»Wann wird er zurückerwartet?«
Wolf/Wiesel kicherte dünn. »Hast du auf diese Frage schon mal 'ne direkte Antwort von Argent bekommen?« Er hielt inne, um dann ernsthafter fortzufahren: »Ich kann ihm sagen, er soll dich anrufen, wenn er zurückkommt, mehr kann ich nicht für dich tun. Hast du eine Nummer?«
Ich gab Wolf die LTG-Nummer eines kleinen E-Mail-Dienstes in Cheyenne. Natürlich nicht annähernd so sicher wie ein echtes kaltes Relais, aber da die Mailbox von einem Toten gemietet war, würde sie interessierte Parteien nicht direkt zu mir führen. Ich wechselte noch ein paar leere Höflichkeitsfloskeln mit Wolf/Wiesel und beendete das Gespräch bei der ersten guten Gelegenheit.
Ich seufzte wieder und sah auf die Uhr. Kurz vor achtzehn Uhr. Alles in allem waren die letzten Tage ziemlich ausgefüllt gewesen, und es sah nicht so aus, als würde sich diese Gangart in den nächsten Tagen verlangsamen. Ich überflog noch einmal die Daten auf meinem Sub-orbital-Ticket: Abflug sechs Uhr, einchecken mindestens eine Stunde vor dem Start. Kein Problem... auf den
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