Haus der Sünde
nicht, was ich sonst getan hätte. Ich -«
»Das ist schon in Ordnung. Ich hole Ihnen den Pyjama.«
Claudia drehte sich um und stürzte den Gang beinahe entlang, da ihr seine dramatische Reaktion auf einmal eine gewisse Angst einflößte. Er war zwar höchst attraktiv, aber falls er tatsächlich sein Gedächtnis verloren hatte, konnte er auch in anderer Hinsicht emotional sehr instabil sein. Wieder fragte sie sich, warum zum Teufel sie auf einmal so leichtsinnig geworden war.
Als sie mit einem königsblauen Baumwollpyjama aus Geralds großer Kollektion und einem Morgenmantel sowie Hausschuhen zurückkehrte, war das Gästezimmer leer. Doch der Gehrock, die Hose und das Hemd hingen ordentlich gefaltet über einem Stuhl; die Schuhe standen daneben. Aus dem Badezimmer hörte sie das Geräusch plätschernden Wassers.
Er ist wieder nackt, dachte sie, und gestattete sich erneut, ihn sich unten am Fluss vorzustellen. Ein so schöner junger Mann ist nackt in meinem Haus. Ihr Herz pochte heftig, ihr wurde schwindlig. Der Seidenstoff des Kimono fühlte sich auf einmal ganz heiß auf ihrer Haut an – sie hätte sich das Kleidungsstück am liebsten vom Leib gerissen, da sein geringes Gewicht sie zu
erdrücken schien. Eine gewaltige Welle durchlief sie. War das alles hier Schicksal, war es unvermeidlich? Sie ließ die Dinge, die sie dem Fremden gebracht hatte, auf einen Stuhl fallen und rannte aus dem Zimmer, da sie auf einmal das Gefühl hatte, ihren Körper nicht mehr kontrollieren zu können.
Eigenartigerweise hatte sie sich jedoch schon bald wieder im Griff. Sie lief durchs Haus, schloss überall ab und schaltete die Lichter aus. Dann ging sie in ihr eigenes Badezimmer, putzte sich die Zähne, begab sich auf die Toilette und bürstete sich die Haare. Auf einmal ertappte sie sich dabei, wie sie Parfüm auflegte und sich im Spiegel genau betrachtete. Sie forschte nach Makeln in ihrem Gesicht oder nach irgendetwas, das vielleicht -
Vielleicht was, fragte sie sich und wandte sich von ihrem Spiegelbild ab. Entschlossen ging sie ins Schlafzimmer und sah sich Geralds Foto an. Irgendetwas, das vielleicht einen jüngeren Liebhaber von einer älteren Frau abhalten würde?
Das Lächeln ihres Mannes wirkte ermutigend und auch ein wenig verschmitzt. Als sie das gerahmte Bild auf die Kommode zurückstellte, schien er ihr zuzuzwinkern.
Sie trat noch einmal vor ihre Schlafzimmertür und hörte, dass es erneut donnerte. Das Gewitter war zwar inzwischen weitergezogen, schien aber noch immer heftig zu sein und wirkte ausgesprochen symbolisch.
Sie hatte sich entschieden. Das war genau die richtige Ausrede, die sie gebraucht hatte. Ihr Gast hatte Angst vor dem Sturm und Blitze verstörten ihn zutiefst. Sie musste ihm doch auf jeden Fall beistehen.
Kapitel 3
Der namenlose Fremde
Er war wach und saß aufrecht in seinem Bett, um dem Sturm draußen vor dem Fenster zuzusehen. Offenbar beunruhigte ihn dieser nicht mehr so stark wie zuvor.
»Hallo! Alles in Ordnung?«, erkundigte sich Claudia, als sie vorsichtig zur Tür hereinblickte, nachdem er auf ihr Klopfen mit einem »Ja!« geantwortet hatte. Sie zeigte auf den Himmel vor dem Fenster, der in diesem Moment wie auf Befehl erneut von einem Blitz erleuchtet wurde. »Macht der Sturm Ihnen immer noch etwas aus?«
»Nein, es geht schon wieder. Vielen Dank.« Er warf ihr wieder ein bestechendes Lächeln zu, das sie erneut aus der Fassung brachte. »Ich glaube, sowohl das Unwetter als auch ich selbst, wir haben uns etwas beruhigt.«
Claudia, die genau wusste, wie töricht sie sich verhielt, da er nun wesentlich ausgeglichener wirkte und ihre Aufmerksamkeit vermutlich als peinlich empfand, schloss dennoch die Tür hinter sich und ging durch das Zimmer auf sein Bett zu. Der Fremde warf ihr einen undeutbaren Blick zu, der sie beinahe dazu veranlasste, wieder umzudrehen und aus dem Zimmer zu laufen. Doch als sie bei ihm stand, strich er die Decke neben sich glatt und lud sie so ein, sich zu setzen. Claudia nahm dankbar an und ließ sich ihm gegenüber nieder. Diesmal gab sie jedoch darauf Acht, dass der Stoff des Kimono tatsächlich ihre Schenkel bedeckte. Zu viel nackte Haut würde den Mann möglicherweise verwirren.
Du blöde Kuh, dachte sie, während er sie aufmerksam betrachtete.
Sie hatte das Gefühl, als würde ihr Schoß wie Honig auf dem Herd schmelzen. Er ist jung und ausgesprochen attraktiv. Selbst wenn er irgendwo entlaufen oder geistig gestört ist, warum zum Teufel sollte er dann
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