Haus der Sünde
explosiv genug, ohne dass auch noch jemand angeheitert sein musste.
»Also, wie fühlen Sie sich jetzt?«, erkundigte sich Paul bei Melody, als sie alle wieder saßen. Paul hatte sich rechts neben die junge Frau auf einem Sessel niedergelassen, während Claudia zu ihrer Linken auf dem Sofa Platz nahm.
Claudia wollte gerade darauf hinweisen, dass seine Frage recht seltsam war, wenn man bedachte, dass sich die beiden bereits unterhalten hatten, als sie selbst im Badezimmer gewesen war. Da bemerkte sie, wie sich ihre beiden Freunde verständnisvoll und vertraut anblitzten. Worüber hatten sie in ihrer Abwesenheit wohl miteinander gesprochen? Wirklich nur über seinen Gedächtnisverlust und die Erlebnisse in der Klinik? Melodys leichtes Lächeln und die Andeutung eines Nickens schienen zu zeigen, dass es auch noch um etwas ganz anderes gegangen war. Als die junge Frau dann antwortete und ihre Augen hell und warm leuchteten, steigerte sich Claudias Verdacht noch. Sie malte sich aus, wie Melody Paul ihre lesbischen
Sehnsüchte gestanden und ihn um Rat gebeten hatte. Und sie zweifelte keinen Augenblick daran, wie dieser Ratschlag ausgesehen haben mochte: Keine falsche Scham! Halten Sie sich nicht zurück! Keine Sorge, sie ist bereit …
»Viel besser«, sagte Melody. »Mir wird allmählich alles viel klarer. Ich würde sogar behaupten, dass es gut gewesen wäre, bereits viel früher über Änderungen in meinem Leben nachzudenken. Aber jetzt ist es natürlich sinnlos, sich zu überlegen, was man früher hätte tun können.« Sie saß aufrecht da, ihr Rücken gerade, ihre Haltung selbstbewusst und die Brüste herausgedrückt. Sie hob ihr Glas. »Ich möchte auf die Zukunft anstoßen, darauf, dass ich neue Dinge ausprobiere und das bekomme, was ich mir im Leben so wünsche.«
»Darauf stoße ich gern an«, erwiderte Claudia, die Melodys Trinkspruch ein wenig durcheinander brachte.
»Da kann ich auch nur zustimmen«, fügte Paul leise hinzu. Für einen kurzen Moment trafen sich seine und Claudias Blicke. Sie hätte schwören können, dass er ihr zuzwinkerte.
»Ich sollte noch ein Gästebett für Melody herrichten«, sagte sie, wobei sie sich äußerst nervös fühlte. »Paul wohnt nämlich in dem Zimmer, wo du sonst schläfst …« Sie war sich bewusst, dass sie nun wirklich aufpassen musste, was sie sagte. Wer wo schlief und mit wem, hatte sich plötzlich zu einem höchst komplexen Gebiet mit verschiedenen Variationsmöglichkeiten entwickelt.
»Ich ziehe aus«, erklärte Paul, ohne zu zögern. »Schließlich habe ich nicht einmal irgendetwas, das ich mitnehmen muss. Alles, was mir gehört, ist die Kleidung, in der ich hier aufgetaucht bin. Mein Jackett, meine Weste und meine Hose befinden sich in der Reinigung und meine Unaussprechlichen wahrscheinlich in der Wäsche.«
Melody kicherte, und Claudia genoss es, sie so glücklich und unbeschwert zu erleben. Vielleicht stellten sich die Dinge
trotz allem gar nicht als so schwierig heraus, wie sie das befürchtet hatte. Vielleicht konnten sie einfach improvisieren und einen Schritt nach dem anderen machen.
»Ich würde doch nicht im Traum daran denken, Sie aus ihrem Zimmer zu vertreiben, Paul«, erwiderte die junge Frau und warf ihm ein süßes kleines Lächeln zu, das eindeutig verführerisch gemeint war. So etwas hatte Claudia bei Melody schon lange Zeit nicht mehr gesehen. »Dann schlafe ich in dem kleinen gelben Zimmer, Claudia. Ich brauche ja nur Bettwäsche, das reicht völlig.«
»Sicher?«, fragten Claudia und Paul gleichzeitig, und dann mussten alle drei herzlich lachen. Man hätte den Eindruck gewinnen können, dass sie sich schon seit vielen Jahren kannten.
»Natürlich«, erwiderte Melody schließlich und hielt dann inne. Sie schien über etwas nachzudenken.
»Claudia, ich muss allerdings noch etwas tun. Und zwar gleich heute Abend. Und dazu brauche ich ein wenig Hilfe.« Sie legte den Kopf auf die Seite und strich sich mit den Haaren durch ihre hellblonden Locken. »Ihr haltet mich wahrscheinlich für dumm und ungeduldig und überstürzt. Aber -« Sie griff nach ihrer Tasche, die neben ihr auf dem Boden stand. »- ich muss das so schnell wie möglich machen.« Sie holte eine kleine Schachtel heraus, in der sich, wie Claudia sah, eine Flasche mit Haartönung befand, und zwar für ein dunkles Braun. » Das war Richards Idee!« Sie zeigte auf ihre blonden Haare. Dann hielt sie die Schachtel mit der Tönung hoch. »Und so sehe ich in Wirklichkeit aus … Oder
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