Haus der Vampire 03 - Rendezvous mit einem Unbekannten-ok
die Aktenordner stapelten. Sie mied das Registrierbüro im Erdgeschoss und stieg die Treppe hinauf. Im ersten Stock war es ruhiger, aber auch hier redeten Menschen, klapperten Computertastaturen und summten Drucker.
Im zweiten Stock war es mäuschenstill. Claire ging den Flur entlang und es wurde noch stiller. Sie konnte nicht einmal mehr Geräusche von außerhalb der Fenster hören, auch wenn sie deutlich sah, dass dort Leute herumgingen und sich unterhielten und Autos durch die Straße brausten. Zimmer dreihundertsiebzehn lag am Ende des Korridors. All die glänzenden Holztüren waren fest geschlossen.
Sie klopfte an der dreihundertsiebzehn und glaubte, jemanden »herein« sagen zu hören, deshalb drehte sie am Türknauf und trat ein...in die Dunkelheit. Absolute, samtige Dunkelheit, in der sie auf der Stelle die Orientierung verlor. Der Türknauf rutschte ihr aus der Hand, die Tür fiel ins Schloss und sie konnte sie nicht wiederfinden. Alles, was sie fühlte, als sie tastend mit der Hand darüberfuhr, war eine eigenschaftslose, glatte Wand.
Hinter ihr erstrahlte ein Licht, und als sie sich umwandte, sah sie ein Streichholz aufflackern und einen Docht, der Feuer fing. Im Schein der Kerze schimmerte Amelies Gesicht so vollkommen wie Elfenbein.
Die Vampirälteste sah noch genauso aus wie immer: kühl, königlich und blass. Ihr weißblondes Haar war zu einer eleganten Frisur hochgesteckt, was bestimmt die Hilfe von Dienerinnen erfordert hatte. Sie trug ein weißes Seidenkostüm und ihre Haut war makellos. Claire konnte nicht feststellen, ob sie Make-up trug. Ihre Augen wirkten im Halbdunkel gespenstisch – leuchtend und nicht ganz menschlich, aber wunderschön.
»Bitte entschuldige die Dramatik«, sagte Amelie und lächelte sie an. Es war ein sehr schönes Lächeln, kühl und höflich. Claires Mutter liebte den Hitchcock-Film Das Fenster zum Hof und Claire stellte verblüfft fest, dass Grace Kelly genau so ausgesehen hätte, wenn sie zum Vampir geworden wäre. Eiskalt und perfekt. »Bemüh dich nicht, die Tür zu suchen. Sie bleibt verschwunden, so lange ich es wünsche.«
Claires Herz schlug schneller und sie wusste, dass Amelie das auch merkte, obwohl die Vampirin nichts dazu sagte; sie löschte nur das Streichholz und ließ es in eine silberne Schale fallen, die neben der Kerze auf dem Schreibtisch stand. Claires Augen gewöhnten sich allmählich an die Dunkelheit. Sie stand in einem recht kleinen Zimmer, das wie eine Art Bibliothek mit Büchern vollgestopft war. Vollgestopft war noch untertrieben – die Bücher standen in Doppelreihen auf den Regalen, stapelten sich auf Bücherschränken und waren in den Ecken zu unordentlichen Pyramiden aufgetürmt. Es waren so viele Bücher, dass das ganze Zimmer nach altem Papier roch. Man sah nichts mehr von der Wand, außer dort, wo Claire hereingekommen war; alles andere war von überfüllten, ächzenden Regalen bedeckt.
»Hallo«, sagte Claire verlegen. Sie hatte Amelie nicht mehr gesehen, seit sie den Schutz-Vertrag unterschrieben und wie befohlen in den Briefkasten vor dem Haus geworfen hatte. Sie hatte so etwas wie einen Besuch erwartet... aber bisher hatte sie nichts von ihr gehört. »Ähm – wie soll ich Sie eigentlich anreden?«
Amelie hob ihre feinen blassen Augenbrauen. »Ich weiß, dass der Begriff der guten Manieren im Schwinden begriffen ist, aber man sollte annehmen, dass dir zumindest irgendeine höfliche Anredeform einfallen würde, die angemessen wäre.«
»Ma’am«, stotterte Claire. Amelie nickte.
»Das sollte genügen.« Sie zündete eine weitere Kerze an. Das Licht wurde heller, flackerte, verbreitete aber einen warmen und willkommenen Schein. Claire bemerkte im Schatten eine andere Tür, sie war klein und hatte einen antiquierten Türknauf. In dem massiven Schloss steckte ein riesiger Schlüssel.
Niemand sonst war im Zimmer, nur sie und Amelie.
»Ich ließ dich rufen, um mit dir über dein Studium zu sprechen«, sagte Amelie und setzte sich auf einen Stuhl auf der anderen Seite des Tisches. Auf Claires Seite gab es keine Sitzgelegenheit, deshalb blieb sie verlegen stehen. Sie stellte den Rucksack ab und faltete die Hände.
»Ja, Ma’am«, sagte sie. »Sind meine Noten nicht okay?« Eine Eins-Komma-null genügte normalerweise den meisten Ansprüchen.
Amelie tat ihre Frage mit einer Handbewegung ab. »Ich sagte nichts von Unterricht, ich sagte Studium. Zweifellos findest du, dass das örtliche College unter deinem Niveau ist. Man sagt,
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