Haus des Blutes
Nein, nein, nein.«
Er nahm sich vor, noch einen weiteren Versuch zu wagen. 30 Minuten. Nein, eine Stunde. Und diesmal würde er die Sache in einem etwas gemächlicheren Tempo angehen, anstatt seine gesamte Energie gleich am Anfang zu verpulvern. Sollte er bei dieser neuen Etappe immer noch nur ein Drittel der Strecke schaffen, würde er aufgeben und sich in die Tiefe hinabstürzen. Er wollte lieber sterben, als bis in alle Ewigkeit in diesem verdammten Fegefeuer gefangen zu sein.
»Okay, dann mal los.«
Er rappelte sich auf, holte tief Luft und widmete sich erneut dem Aufstieg. Er war noch ein wenig wackelig auf den Beinen und sehnte sich verzweifelt nach einer oder zwei Flaschen Gatorade, aber im Großen und Ganzen fühlte er sich gut. Und er hielt stur seinen Kopf gesenkt, um nicht andauernd die unendlich weit entfernte Tür anzustarren. Um sich die Zeit zu vertreiben, zählte er die Stufen, während er hinaufkraxelte. Eins, zwei, drei … ein Dutzend … zwei Dutzend … drei Dutzend … das alte Lied.
Oder vielleicht auch nicht.
Als er schließlich doch einmal seinen Blick hob, stellte er überrascht fest, dass die Tür tatsächlich größer wurde. Deutlich näher kam. Er verspürte den flüchtigen – beinahe unwiderstehlichen – Impuls, das Tempo zu erhöhen. Aber er zwang sich, gleichmäßig weiterzugehen.
Die Tür schien immer dichter heranzurücken.
Bis er endlich die verbleibenden Tritte zwischen sich und dem oberen Absatz zählen konnte: noch 17. 16. 15. 14. Weniger als zehn. Schließlich bewegte er sich doch schneller und legte die restlichen Stufen mit großen Sprüngen zurück. Auf dem Sims blieb er stehen und hatte das Gefühl, zu wissen, wie es war, den Mount Everest zu besteigen. Zur Hölle, verdammt, der Mount Everest war etwas für Weicheier. Was war schon ein mickriger Achttausender verglichen mit dieser Spuktreppe?
Aber vielleicht war das Ganze gar kein Spuk.
Er gelangte zu dem Schluss, dass das Wort nicht ganz treffend war – jedenfalls wusste er, dass dieser merkwürdige Ort nicht das Geringste mit der normalen Welt zu tun hatte.
Und er wusste noch etwas anderes.
Er wollte hier raus.
Sofort.
Er unterzog die Tür einer genauen Musterung. Sie bestand im Gegensatz zu den beiden, an denen sich die Monster zu schaffen gemacht hatten, aus weitaus schlichterem Material, nämlich aus Holz. Weder links noch rechts neben ihr war eine elektronische Tastatur zu erkennen und sie schien auch nicht über einen wie auch immer gearteten Schließmechanismus zu verfügen. Es gab nur einen einfachen Türknauf aus Messing. Alles, was er tun musste, war, seine Hand danach auszustrecken und ihn umzudrehen …
Ihm kam der unbequeme Gedanke, dass der erste Eindruck manchmal gewaltig täuschte.
Und er dachte an das aufgespießte Pärchen im Wachraum. Derjenige, der für diese Tat verantwortlich war, befand sich vermutlich irgendwo auf der anderen Seite dieser Tür. Die Vorstellung, ihm zu begegnen, beunruhigte Eddie zutiefst. Allerdings wusste er, dass es für ihn kein Zurück mehr gab.
Und er konnte auch nicht bis in alle Ewigkeit auf diesem Treppenabsatz stehen bleiben.
Er atmete tief ein.
Griff nach dem Knauf.
Drehte ihn um, bis sich die Tür langsam aus ihrem Rahmen löste.
Er schob Jahrzehnte von tief verwurzeltem Agnostizismus beiseite, schickte ein Stoßgebet gen Himmel und betrat das Zuhause des Teufels.
Kapitel 3
Das Wesen, das die Bewohner der Unterwelt als ihren Meister bezeichneten, war mehrere Jahrhunderte alt. Sein Dasein in diesen Gefilden erstreckte sich über mehr als ein Dreivierteljahrtausend, aber wenn er sich in seiner menschlichen Gestalt zeigte, sah er aus wie ein grauhaariger Mann Anfang 60. Er war auch in der Lage, ein deutlich jugendlicheres Erscheinungsbild anzunehmen, aber er war zu der Feststellung gelangt, dass die meisten Menschen ihren reiferen Artgenossen mit einer gewissen Ehrerbietung gegenübertraten, die ihm gefiel. So war ihre Unterwerfung von Anfang an vorbestimmt.
Und genau das war der springende Punkt. Eine Kreatur mit einer derartigen Langlebigkeit konnte ein wenig Amüsement gut gebrauchen, und die Spielchen, die er mit den Sterblichen trieb, bereiteten ihm unbändiges Vergnügen. Wie Insekten, die hilflos in einem Spinnennetz zappelten, bemerkten sie erst, dass sie das Zuhause des Teufels betreten hatten, wenn es bereits zu spät war, ihm wieder zu entkommen.
Er liebte es, sie zu verhöhnen, die einzelnen Schichten ihres falschen Anstands und Stolzes
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