Haus des Blutes
vergangenen Jahren einige Schläge einstecken müssen, viele davon hätten es beinahe ganz zerstört, aber die meisten ihrer bewundernswerteren Charaktereigenschaften waren ihr geblieben.
Ihre Menschlichkeit, beispielsweise.
Ihr Mitgefühl.
Ihre grundlegende Gutherzigkeit.
Sie würde eher sterben, ehe sie es King erlaubte, den letzten Rest des Guten zu zerstören, das sie vielleicht noch in sich trug.
Verdammt, wenn die Dinge wie ursprünglich geplant gelaufen wären, befände sie sich jetzt gar nicht mehr am Leben. Ihr Gehirn wäre großflächig über die Wände irgendeines Hotelzimmers verteilt. Dream rutschte auf dem Korbsessel hin und her, schlug die Beine übereinander und schüttelte sich. Die Vision hatte sich in ihrem Kopf festgesetzt, verlockend, in lebendigen Farben.
Sie sah sich selbst, sah die Glock, die wie ein mächtiger schwarzer Schwanz in ihrem weit aufgerissenen Mund steckte, ihr zerfetzter Hinterkopf nichts als blutiger Matsch. Die Vorstellung erfüllte sie jedoch nicht mit Entsetzen, sondern mit einem inneren Frieden, den sie sich schon seit Langem herbeisehnte. Der zerstörte Körper war nichts weiter als eine leere Hülle, welche nicht länger die gequälte Seele beherbergte, die beinahe 30 Jahre lang darin gewohnt hatte.
Es erstaunte Dream, dass etwas so Grauenvolles zugleich so wunderschön sein konnte.
Für sie war es das tatsächlich.
Sie war noch immer tief in Gedanken versunken, als sie Schritte hinter sich hörte. King trat auf den Balkon hinaus. Er bedachte sie mit einem sanften, wissenden Lächeln. Dem Lächeln eines Geliebten. Sie konnte nicht anders, als es zu erwidern. In seine dunklen, seelenvollen Augen zu blicken, löste irgendetwas in ihr aus, eine Wärme, die sich in ihrem gesamten Körper ausbreitete. Sie spürte ein wohliges Kribbeln an zahlreichen sensiblen Stellen und erinnerte sich wieder daran, wie gekonnt er sie in der vergangenen Nacht verwöhnt hatte.
Sie wollte ihn noch einmal.
Gleich hier.
Gleich jetzt.
Unglaublich. Obwohl sie diese schrecklichen Details aus den Abgründen seiner Seele kannte, sogar das finstere Schicksal, das er ihren Freundinnen zugedacht hatte – unsagbar grauenvolle Dinge –, begehrte sie ihn noch immer.
Er trat ans Geländer, hielt sich genauso daran fest, wie Dream es noch vor wenigen Augenblicken getan hatte, legte seinen Kopf in den Nacken, blickte gen Himmel und sog genüsslich die saubere Bergluft in seine Lungen. Dreams Augen glänzten vor schierem erotischen Verlangen, und sie nahm das Bild seiner eindrucksvollen Gestalt, die sich vor der grandiosen Kulisse abzeichnete, ganz tief in sich auf.
King trug Kakihosen, deren Saum er über die nackten Füße bis zu den Knöcheln hochgekrempelt hatte, sowie ein weißes Hemd, das so weit aufgeknöpft war, dass es seinen muskulösen Oberkörper zur Schau stellte. Sein vom Schlaf zerzaustes Haar wurde von einer sanften Brise erfasst, und er fuhr mit einer Hand hindurch, um es aus der Stirn zu streichen.
Dreams Hand wanderte zum Gürtel ihres Bademantels.
Ihr Verlangen war so groß, dass sie es kaum ertragen konnte.
Er drehte sich um und lehnte sich gegen die Reling. Er schenkte ihrem Striptease nicht mehr als einen flüchtigen Blick. Nun, ein Mann – oder ein Wesen – wie King ließ sich eben durch nichts aus der Ruhe bringen oder erschüttern.
Er lächelte erneut. »Hast du gut geschlafen?«
Dream zwang sich, ihre Hand vom Gürtel des Morgenmantels zu lösen. Sie griff stattdessen nach der Kaffeetasse, führte sie an den Mund und nahm einen beiläufigen Schluck. »Mit Ausnahme eines ziemlich verstörenden Traums, ja.« Sie lächelte. »Das Bett ist einfach unglaublich. Ich habe noch nie so wunderbar geschlafen.«
Er runzelte die Stirn. »Erzähl mir von diesem Traum.«
Sie stellte die Kaffeetasse wieder ab und faltete die Hände keusch in ihrem Schoß. »Na ja, ich bin mir gar nicht sicher, ob es wirklich ein Traum war. Ich glaube, es könnte sein, dass ich noch einmal … gereist bin.«
King nickte. »Das ist gut möglich.« Er öffnete seine verschränkten Arme und hielt sich am Geländer fest. »Aber es kommt nur selten vor. Menschen sind für gewöhnlich so kurz nach ihrer ersten Erfahrung noch nicht zu spontanen Ausflügen im Schlaf fähig. Tatsächlich ist überhaupt nur ein sehr kleiner Prozentsatz deinesgleichen zu dem in der Lage, was du letzte Nacht erlebt hast. Jenen, denen es gelingt, ist eine ganz besondere Eigenschaft gemein. Eine ungewöhnliche
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