Haus des Blutes
ab, lehnte sich in ihrem Sessel zurück und starrte hingerissen und voller Ehrfurcht auf die Landschaft.
Wie es wohl sein mochte, jeden Morgen für den Rest ihres Lebens so aufzuwachen?
Sie spürte, dass King genau das wollte.
Sie lächelte, als sie an seine Märchenvergleiche dachte.
Ich, dachte sie. Eine Königin.
Man stelle sich das nur vor.
Aber es gab auch noch andere Dinge, die King betrafen. Die sie der einzigartigen Verbindung der außerkörperlichen Erfahrung zu verdanken hatte. Einblicke, die nur wenigen Menschen je vergönnt gewesen waren. Die offensichtliche Veränderung in seinem Inneren. Er hielt zwar nach wie vor eine überzeugende, bedrohliche Fassade aufrecht, aber sie wurde das Gefühl nicht los, dass er nicht mehr mit ganzem Herzen dabei war. Er hatte jahrhundertelang in seiner Natur geschwelgt, seinen Sadismus und seine Grausamkeit voll ausgekostet. War es nicht möglich, dass selbst durch und durch bösartige Kreaturen ihres Daseins und der eigenen Schlechtigkeit überdrüssig werden konnten?
Es war nicht so, dass sie seine Gedanken gelesen hätte. Aber es war nicht schwer gewesen, diesen Wandel zu erkennen. Im Zustand des körperlosen Bewusstseins nahmen Gefühle und Gedanken beinahe greifbare Form an. Äußerten sich in subtilen Wechseln von Licht und Farben, Wärme und Kälte.
Die stärksten Anzeichen dafür, dass sich seine Gemütslage zu verändern schien, hatte Dream während ihrer Reise durch die unterirdische Gesellschaft in England gespürt. Sie erkannte diese Anzeichen in Form einer Verdunklung ihrer eigenen Wahrnehmung, so als blickte sie durch eine Linse mit einem Filter, und sie war von einem eiskalten Schauder erfasst worden, der sie bis ins Mark ihres körperlosen Wesens hinein erschüttert hatte.
Eine seltsam reizvolle Möglichkeit hallte in den verletzten Regionen ihrer geschundenen Seele wider. Dream konnte eine tiefe Depression diagnostizieren, wenn sie eine vor sich hatte, und die Vorstellung von einem depressiven Dämon oder Geist faszinierte sie.
Nein.
Mehr als das.
Sie seufzte.
Dream empfand die Vorstellung als ungeheuer romantisch. Romantisch in dem Sinne, wie düstere Tragödien oder Shakespeare-Dramen romantisch waren. Sie hatte schon immer eine Schwäche für dem Untergang geweihte Figuren in Theaterstücken und Erzählungen besessen. Sie sprachen sie auf eine Weise an, in der es die Charaktere zeitgenössischer, meist belangloser Romane nicht vermochten. Die Autoren früherer Jahrhunderte schienen einfach besser zu verstehen, was wahres Leid bedeutete, und es war ihnen unzählige Male gelungen, dieses Gefühl in Dream hervorzurufen. Ihr Lieblingsstück war schon immer Hamlet gewesen, mit seinem unvergleichbar düsteren Höhepunkt aus Blut, Gift und Verrat.
Sie musste sich selbst vergegenwärtigen, dass King nicht Hamlet war. Es war verlockend, einem solchen Vergleich anheimzufallen. Das würde es ihr aber zu leicht machen, das Wissen um Kings brutale Taten mit ihrem Verlangen nach ihm zu versöhnen. Aber King hatte nichts mit dem geplagten, edlen Wesen eines Prinzen gemein. Sicher, er war attraktiv und charmant, und sein Haus bezauberte jeden durch seinen Glanz, aber dieser Glanz steckte voller Unvollkommenheiten.
King war ein Mörder.
Schlimmer noch, er war ein Sadist, der aus reinem Vergnügen tötete.
Und er tat es im ganz großen Stil.
Also, wie würde es sich wohl anfühlen, jeden Morgen vor diesem umwerfenden Panorama idyllischer Schönheit aufzuwachen?
Aber wenn sie ehrlich zu sich selbst war, kannte Dream die Antwort auf diese Frage bereits.
Es würde sich genauso anfühlen, als ob sie eines Morgens aus dem Schlaf hochschreckte und feststellte, dass sie zur Konkubine des Teufels geworden war. Einer Lieblingshure, der es gestattet war, sich den sinnlichsten Verlockungen der Welt hinzugeben, während um sie herum die verdammten Seelen in unendlichen Qualen des flüssigen Höllenfeuers aufschrien.
Unmöglich.
Nicht ein einziger Teil von ihr konnte sich mit der Vorstellung anfreunden, in ein derartiges Dasein einzuwilligen. Es verstieß gegen jegliche pazifistischen Instinkte, die tief in ihr verwurzelt waren. Sie hatte sogar ein leichtes Bedauern beim Anblick von Dans zerstörtem Käfer verspürt. Schon seit langer Zeit stellte sie ihr eigenes Wohlergehen hinten an. Sie konnte dieser Unterjochung und diesen brutalen Akten der Gewalt nicht stillschweigend ihren Segen erteilen, indem sie Kings Geliebte wurde. Ihr Selbstbewusstsein hatte in den
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