Haus des Blutes
Dreams Augen, ein flüchtiges, wissendes Flackern.
»Oh, ich habe meine Ohren stets gespitzt, junges Fräulein. Weißt du, ich diene dem Meister und bin ihm gegenüber sehr loyal, aber meine Loyalität hat ihre Grenzen.« Ihre Lippen strichen über Dreams Mund und die gefangene junge Frau zitterte. »Ich werde auch diesen Sturm überstehen.«
Sie ließ Dream los. »Geh jetzt, du Hure. Viel Spaß in der Hölle.«
Miss Wickman wandte sich von Dream ab und verschwand in Richtung Wendeltreppe. Ihre hohen Absätze klapperten die Stufen hinunter und hallten im gesamten Flur wider, wie Kieselsteine, die einen Brunnenschacht hinunterfallen. Ihr falsches Lachen war der geistesgestörte Ausbruch eines Höllenwächters.
Dream sank zu Boden, vollkommen entmutigt und zu Tode erschrocken.
Dort blieb sie sitzen, bis sie ihr Zittern wieder unter Kontrolle hatte.
Ihre Freundinnen waren tot.
Unmöglich, dass sie eine Nacht in diesem Haus überlebt hatten. Wut ersetzte Dreams schreckliche Angst vor der eigenartigen Haushälterin. An welchen winzigen Fetzen einer Illusion sie sich bis jetzt auch geklammert haben mochte, er war unwiederbringlich zerstört. Sie wollte keine Erlösung im Leben nach dem Tod finden und bis in alle Ewigkeit an Kings Seite sein.
Was sie für ihn empfand, war unnatürlich.
Das war ihr jetzt vollkommen klar.
Er hatte irgendetwas mit ihr angestellt.
Eine Art … Sexzauber.
Ja, zu so etwas wäre er sicher fähig.
Dream versuchte, ihre widersprüchlichen Gefühle zu sortieren.
Es wäre verlockend gewesen, ihrer Wut die Führung über ihr Handeln zu überlassen, aber sie tat es sofort als kontraproduktiv ab. Sie musste sich weiter auf ihr Ziel konzentrieren. Musste die Illusion ihrer Verschwörung King gegenüber aufrechterhalten. Er musste weiterhin glauben, dass sie mit ihm zusammen sein wollte.
Bis zu seinem Tod.
Bis zu ihrer beider Tod.
Niedergeschlagen und vollkommen desillusioniert rappelte Dream sich auf und ging zurück in Kings Schlafzimmer.
Kapitel 28
In seiner wahren Gestalt existierte das Haus in den Bergen in einem Zustand der Stasis. Das baufällige Gebäude bestand aus einer Art schwebender Materie. Seit über 40 Jahren zeigten die durchhängenden Balken, die das Gerüst des Hauses bildeten, keine Anzeichen weiteren Verfalls mehr. Die Verrottung, die eingesetzt hatte, schritt nicht weiter voran. Die Wasserschäden, durch die sich die Küchendecke bereits gesenkt hatte, breiteten sich nicht weiter aus.
Im Wohnzimmer kauerte der alte Hausmeister auf einem mit Plastikplanen bedeckten Sofa. Seine Kehle war aufgeschlitzt, und sein Kopf hing schlaff auf seine rechte Schulter hinab. Die perfekt konservierte Leiche befand sich seit 1960 hier. Auf der Plastikplane und der Latzhose des Mannes zeichneten sich Spuren von nie geronnenem Blut ab.
Dieses Haus, das wahre Haus, war ein Werk des Teufels.
Kalt, unveränderlich und unsichtbar.
Es bildete den Rahmen für die Illusionen, erschaffen von jener Kreatur, die in den letzten Tagen vor der Zeit Camelots in diesem vergessenen Landstrich eingefallen war und ihn für immer verändert hatte. Dimensionen und Erscheinungsbild dieses illusionären Bauwerks veränderten sich jeden Tag aufs Neue, manchmal auf sehr subtile Weise, hin und wieder auch in ausgesprochen drastischer Form. Die Macht, die diese Illusionen hervorrief und das wahre Haus so vor den Blicken der Außenwelt verbarg, verfügte über eine schier unglaubliche Kraft, mehr noch als die Urgewalten der natürlichen Welt.
Die Illusion war unantastbar.
Das wahre Wesen des Hauses unerreichbar.
Von der Zeit alleingelassen.
Bis zu diesem Tag.
Irgendwo, möglicherweise in einem der leeren oberen Zimmer, knarrte ganz leise eine Diele.
Ein beinahe hörbares Seufzen ertönte.
Das Geräusch von etwas Uraltem und überaus Erschöpftem, das ein letztes Mal zum Leben erwachte.
Kapitel 29
Der Schuss riss Cindy regelrecht den Boden unter den Füßen weg. Chad wusste so gut wie nichts über Waffen, aber diese verfügte offenbar über eine enorme Durchschlagskraft. Cindy fiel mit dem Gesicht voran auf den Boden und blieb reglos liegen. Sie zuckte nicht einmal mehr. Die Kugel hatte den Großteil ihres Gehirns zerfetzt. Ungläubig sah Chad mit offenem Mund und starr vor Entsetzen zu, wie die Wachen ihren verwundeten Kollegen aufhoben und von dannen zogen.
Sie drehten sich noch nicht einmal mehr zu ihm um.
Eine Traurigkeit, so groß, dass Chad sie unmöglich im Zaum halten konnte, brach mit
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