Haus des Blutes
Erleichterung, als sich ihre Hand schließlich doch noch um den kalten Plastikgriff der Pistole schloss.
Sie holte sie heraus, ließ die Tasche fallen und erhob sich, um das unvertraute Stück Stahl näher zu inspizieren. Sie hatte in ihrem ganzen Leben noch nie eine Waffe benutzt, aber sie fand immerhin heraus, dass dieses spezielle Modell über mehr als einen Sicherheitsmechanismus verfügte. Sie experimentierte ein wenig herum und entschied sich dann dafür, zwei der Mechanismen zu deaktivieren, womit die Glock lediglich einfach gesichert blieb. Ein volles Magazin mit zehn Patronen wartete auf seinen Einsatz.
Gut.
Die grundlegende Funktionsweise dieses Scheißdings hatte sie begriffen. Aber es gab da noch einige Variablen, wichtige Einzelheiten, die für Dream noch immer ein Rätsel waren – etwa, wie sie die Waffe unter Kontrolle halten konnte, wenn sie einen Schuss abfeuerte. Sie hatte Angst, dass sie den Rückstoß nicht ausgleichen konnte.
Sie würde einfach beten und auf das Beste hoffen.
Aber sie machte sich noch über ganz andere Sachen Gedanken.
Etwa darüber, ob sie wirklich die Nerven besaß, die Waffe zu benutzen, wenn es darauf ankam – auch zur Selbstverteidigung.
Sie wusste es nicht.
Das würde sie, genau wie alles andere, erst herausfinden, wenn es so weit war.
Sie legte die Waffe kurz aufs Bett, sodass der Lauf von ihr wegzeigte, zog die Kleidung vom Vortag wieder an, und nahm die Glock dann wieder an sich. Sie hielt sie seitlich am Körper, den Lauf auf den Boden gerichtet, ihren nervösen Finger außerhalb des Abzugsbügels.
Sie atmete tief ein und ging aus dem Zimmer.
Der Flur erstreckte sich vor ihr wie ein endloser Korridor der Hölle. Er wurde nur spärlich von Kerzen in gläsernen Wandleuchtern erhellt. Dutzende geschlossener Türen lauerten wie stumme Wächter auf beiden Seiten. Dreams Fähigkeit, Furcht zu empfinden, blühte noch einmal in ihr auf. Sicher, sie wollte sterben, hatte ihren Tod sogar selbst geplant, aber angesichts der unfassbaren Erlebnisse der jüngsten Vergangenheit schien das nicht länger von Bedeutung.
Sie wurde das Gefühl nicht los, dass ihr der Flur in der vergangenen Nacht kürzer vorgekommen war. Es war jedoch durchaus möglich, dass sie ihrer Wahrnehmung in dieser Hinsicht nicht trauen konnte, weil sie unter dem Einfluss von King und ihrem unbändigen Verlangen nach ihm gestanden hatte.
Scheiße, meldete sich die Stimme der Vernunft eindringlich zu Wort.
Du weißt genau, woran du dich erinnerst. Es ist genau, wie Karen gesagt hat: Du hast gesehen, was du gesehen hast. Du bist zwar eine Frau mit einer Menge Problemen, aber du bist nicht verrückt.
Und du hast keine beschissenen Halluzinationen.
Der Flur war tatsächlich anders. Länger. Dunkler. Waren die Kerzen in den Wandleuchtern in der vergangenen Nacht auch schon da gewesen? Dream schüttelte den Kopf. Sie glaubte zu wissen, dass an ihrer Stelle elektrische Lampen gebrannt hatten. Und auch wenn sie eine Menge Türen zu einer Menge Zimmer gesehen hatte, schien ihre Zahl deutlich gewachsen zu sein.
Okay, na und? Sie stand hier einer veränderten Realität gegenüber, die lediglich das widerspiegelte, was sie außerhalb von Kings Schlafzimmer gesehen hatte. Dream akzeptierte, dass die Substanz des Hauses fließend war, formbar, und sie nahm an, dass diese Veränderungen mit subtilen Fluktuationen in Kings Bewusstsein zusammenhingen. Einige von ihnen kontrollierte er, andere vielleicht nicht – es waren die übernatürlichen Entsprechungen geistiger Aussetzer. Ihr kam ein verstörender Gedanke: Was passierte mit jemandem, der sich in einem Zimmer befand, das sich in Luft auflöste, wenn Kings Hirn mal wieder Schluckauf hatte?
Sie fröstelte.
Dream blieb noch einen Moment lang reglos in der Tür des Schlafzimmers stehen, zwang sich, Ruhe zu bewahren, und stellte erneut eine Verbindung zu diesem seltsamen Ding in ihrem tiefsten Inneren her, ihrem erwachenden Kräftezentrum. Die Verbindung stand sofort und es fühlte sich an wie ein Schlag ins Gesicht. Sie zapfte erneut ihre Quelle des Wissens an, die greifbare Masse von Kings Versprechen an sie, und hielt sie einen Moment lang ganz fest, bevor sie wieder zu sich kam.
Derart gestärkt wagte sie sich in den Korridor hinaus.
Sie hielt am ersten Durchgang an, den sie erreichte, und schloss ihre freie Hand um den Türgriff. Als sie jedoch versuchte, ihn zu drehen, gab er nicht einen Millimeter nach. Dasselbe galt für die nächste Tür. Und die
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