Haus des Blutes
nächste. Und die nächste. Tür um Tür um Tür, bis sie irgendwann ein Dutzend von ihnen durchprobiert hatte, jedes Mal mit demselben frustrierenden Resultat.
Inzwischen war Dream im hinteren Drittel des Korridors angelangt und konnte bereits den Absatz der Wendeltreppe hinter der Ecke erspähen.
Na prima.
Noch mehr von diesem Schwachsinn.
Letzte Nacht war dort noch keine Wendeltreppe gewesen. Natürlich nicht. Lediglich eine ganz gewöhnliche, stinknormale Treppe. Nun hatte auch sie ihre Form und ihre Abmessungen verändert und erfüllte damit brav das Klischee vom unheimlichen, übernatürlichen Spukhaus.
Du darfst dir darüber nicht den Kopf zerbrechen, ermahnte Dream sich selbst.
Es waren lediglich noch ein paar Türen übrig.
Das Muster ihrer Erfolglosigkeit hielt jedoch weiter an, bis sie nur noch wenige Schritte vom Ende des Korridors entfernt war. Sie griff nach einem Knauf, der von einer Sekunde auf die nächste gar nicht mehr da war. Die Tür stand offen, und Dream hörte Geräusche, die ihr verrieten, dass sich Personen im Zimmer aufhielten. Keuchen. Stöhnen. Die Stimme einer Frau. Zwei Personen. Sie war sicher, dass es sich bei der anderen um einen Mann handelte. Und sie war sich ebenfalls sicher, dass die beiden Sex hatten. Daher auch das Stöhnen. Sie zögerte einen Moment, da sie keinen Coitus interruptus verschulden wollte, aber sie gelangte zu dem Schluss, dass ihr keine andere Wahl blieb.
Irgendjemand musste ihr helfen.
Also betrat sie das Zimmer.
Und sah sofort, dass die Personen im Inneren gar keinen Sex hatten.
Ein nackter Mann war an einen Pranger gefesselt. Dream hatte, außer in Filmen, noch nie einen gesehen, aber sie erkannte sofort, worum es sich handelte. Der Kopf und die Hände des Mannes steckten jeweils in einem Loch, während auf der anderen Seite sein dunkelroter Hintern zitterte. Eine schlanke junge Frau mit hellblondem, beinahe weißem Haar neigte ihren Kopf zur Seite und starrte Dream mit unverhohlener Neugier an. Sie trug schwarze Strumpfbänder, Stilettos und ein schwarzes Bustier aus Leder. Sie hob einen ihrer Mundwinkel.
Und begrüßte Dream: »Hall-o, kleine Schönheit.«
Sie ließ ihre neunschwänzige Katze knallen.
»Willst du mitspielen?«
Dream taumelte wie betäubt rückwärts, die Glock hatte sie völlig vergessen. Sie blieb im Flur stehen, während sich die Blondine ihr näherte. Die blauen Augen des Mädchens strahlten eine eisige Kälte aus. In ihnen lag nicht der Hauch von Seele. Lediglich ein dunkler Kern des Bösen. Dream spürte es ebenso intuitiv, wie sie vorher in Zarahs bösen Gedanken gelesen hatte. Sie wusste es. Es handelte sich um eine Tatsache. Dieses hübsche Mädchen war ein Monster und ihr Lächeln von der hinterlistigen Sorte. Eine Einladung zur Erniedrigung.
Die Finger der Domina legten sich um die Türkante.
»Auf Wiedersehen, Schönheit.«
Dann knallte sie die Tür zu.
Dream durchschoss pure Erleichterung.
Ihre Erleichterung war so groß, dass sie erst bemerkte, wie sich hinter ihr eine Tür öffnete, als es schon zu spät war. Sie wirbelte herum und merkte, wie Miss Wickman sie am Handgelenk packte und die Glock förmlich aus ihrer Hand schälte.
Kings Haushälterin mit den grausamen Augen fuchtelte mit der Waffe anklagend vor Dreams Gesicht herum.
»Na, na, na.«
Dream versuchte zu sprechen, aber sie zitterte zu stark.
»Pssst, meine Liebe.« Miss Wickman presste die Mündung der Glock gegen Dreams linke Schläfe und drückte ihren Kopf zur Seite. »Ich frage mich, was der Meister wohl dazu sagen würde, hm? Hier im Haus herumzuschleichen, dem Haus, dessen Türen er dir so großzügig geöffnet hat, mit einer Pistole in der Hand.«
Dream versuchte erneut, etwas zu erwidern, aber die strenge Frau ließ die freie Hand gegen ihren Kiefer donnern und presste sie mit aller Kraft gegen die Wand. Sie drückte sich gegen Dream und kam ihr mit dem Gesicht so nahe, dass sie ihren heißen Atem spüren konnte.
»Ich bin nicht dumm.« Der Lauf der Pistole schürfte die Haut an Dreams Schläfe auf. »Ich weiß, dass hier etwas nicht stimmt.«
Dream winselte.
»Der Meister steckt in Schwierigkeiten.« Sie stieß ein humorloses Lachen aus. »Ich nehme an, dass es irgendwann so kommen musste. Ich nehme außerdem an, dass es keinen Sinn hätte, dich umzubringen, auch wenn es mir großes Vergnügen bereiten würde. Möglicherweise könnte es sogar von Nutzen sein, dich am Leben zu lassen.«
In diesem Moment erkannte sie etwas in
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