Haus des Blutes
solcher Wucht aus ihm heraus, dass er am ganzen Körper zitterte. Er streckte seinen Kopf zum Himmel und weinte bitterlich. Heiße Tränen rannen über seine Wangen und tropften in seinen Mund.
Später hätte er nicht mehr sagen können, wie lange er so dagesessen hatte. Vielleicht waren nur wenige Minuten vergangen, möglicherweise aber auch mehr als eine halbe Stunde. Cindys Baracke stand in einer Reihe mit Dutzenden weiteren. Hier befand sich die Siedlung der Sklaven. Ihre Quartiere. Einige von ihnen traten vorsichtig aus ihren baufälligen Behausungen heraus, um zu sehen, was es mit dem Tumult auf sich hatte. Chad beruhigte sich nur langsam wieder, als er ihre Anwesenheit bemerkte.
Und sah, was sie sahen.
Die Obszönität von Cindys nacktem, unaussprechlich geschändetem Körper.
Eine Hülle, der noch vor wenigen Augenblicken eine lebendige Seele voller Kraft und Energie innegewohnt hatte. Die Seele einer Frau, die viele Mühen auf sich genommen und sich selbst in Gefahr gebracht hatte, um ihn sicher hierherzubringen. Eine Frau, die er zwar erst seit kurzer Zeit gekannt hatte, die ihm aber trotzdem sehr ans Herz gewachsen war. Das zerstörte Gehäuse dieser kostbaren Seele lag nutzlos vor ihm auf dem Boden, Blut und Gewebe quollen aus ihm heraus. Das schiere Ausmaß seines Verlustes löste einen weiteren heftigen Trauerschub aus.
Er sprang auf, taumelte in die Baracke und kehrte mit einer zerfetzten Decke zurück, mit der er Cindys Körper verhüllte.
Chad ließ sich neben ihr auf den Boden fallen. Er war sich ihrer Nacktheit zwar vage bewusst, aber Anstand war angesichts von etwas so Entsetzlichem ein vollkommen absurdes Konzept. Chad nahm an, dass auch der Impuls, die Leiche einer toten Frau zu verhüllen, relativ absurd war, aber sie verdiente wenigstens ein Mindestmaß an Würde, und er versuchte, ihr mit dieser kleinen Geste dazu zu verhelfen. Er saß neben ihr, fühlte sich vollkommen machtlos und erschöpft und wusste nicht, wie es nun weitergehen sollte. Er verspürte zwar das nachvollziehbare Verlangen nach Rache, aber er hatte nicht die geringste Ahnung, wie er diese theoretischen Vergeltungsaktionen in die Tat umsetzen sollte.
Später vermutete er, dass er wohl bis in alle Ewigkeit neben der Leiche gesessen hätte, wäre nicht Jack Paradise auf der Bildfläche erschienen.
Jack Paradise – wenig überraschend nicht der Name, der in seinem Pass stand – lebte seit 15 Jahren Unten, wobei er das letzte Jahrzehnt als befreiter Sklave zugebracht hatte. Als ehemaliger Marinesoldat wäre er eigentlich ein Topkandidat für die unterirdische Polizeitruppe des Meisters gewesen, aber Paradise hatte von Anfang an klargestellt, dass er für niemanden den Schläger spielen würde.
Dieser Akt des Widerstands hätte ihm normalerweise ein Ticket für den Expresszug gen Himmel bescheren müssen, aber der große Drillsergeant konnte allem Anschein nach nur ein müdes Lächeln für ihn erübrigen. Denn Paradise war noch immer hier, in Fleisch und Blut und voller Lebensgröße. Mit der Betonung auf Größe: Er war von beeindruckender Statur und mit knapp über 1,90 Meter ein wahrer Hüne.
Die treibenden Kräfte hinter der Verschwörung hatten von Beginn an ein Auge auf ihn geworfen, und er fand sich schon kurz nach seiner Rekrutierung in einer leitenden Rolle wieder. Er besaß ein Talent für Dinge, von denen viele Menschen nicht den Hauch einer Ahnung besaßen. Das betraf unter anderem strategische Planungen oder das vorsichtige Abtasten, welche der Wachen den Absichten der Revolutionäre wohlwollend gegenüberstanden.
Jack hatte zwar ein übergroßes Ego, war aber scharfsinnig und loyal. Lazarus mochte die inspirierende Figur der Bewegung sein, ihr Messias, aber Jack war ihr General Patton. Die Konspiranten hatten ihre Augen in den letzten Momenten vor Beginn des Aufstands fast überall. Deshalb dauerte es nicht lange, bis Jack nach Cindys Tod am Tatort auftauchte.
Beim ersten Anblick des zerstörten Körpers dieser tapferen Frau versteinerte sich seine Miene.
Die Muskelstränge in seinen kräftigen Armen spannten sich an, und er verspürte das dringende Bedürfnis, auf etwas einzuschlagen.
Aber er blieb standhaft.
Und ging an die Arbeit.
Chad wusste rein gar nichts über die Bedeutung dieses riesigen Kerls, aber er spürte, dass dieser gekommen war, um ihm zu helfen. Schon ein kurzer Blick verriet es ihm – die Körperhaltung des Fremden und die Tatsache, dass seine Miene zu Granit versteinert war, als
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