Haus des Blutes
»Denk doch mal darüber nach, was wir beide hier haben könnten, Dream. Hundert weitere Jahre lang, vielleicht sogar mehr, nur noch Tage wie den heutigen. Wir müssen nicht ins Paradies. Wir können uns hier unser ganz eigenes erschaffen.«
Sie löste sich aus seiner Umarmung und setzte sich im Bett auf. »Brichst du jetzt schon das Versprechen, das du mir gegeben hast, Ed? Ich weiß, dass du nicht viel über die Liebe weißt, deshalb möchte ich dir ein wenig Nachhilfe geben. Das nennt man einen Vertrauensbruch.«
Er legte eine Hand auf ihren Rücken, aber sie schüttelte sie ab.
Er legte einen Arm um ihre Schultern. »Heute Nacht also.«
Sie schmiegte sich in seine Arme. »Es muss so sein.«
Er streichelte über ihren Kopf. »Ich weiß.«
Aber seine Stimme klang distanziert.
Diese Distanziertheit beunruhigte sie zwar, aber sie glaubte ganz fest daran, dass er sein Wort am Ende halten würde. Und diese Überzeugung gründete sich auf weitaus mehr als nur ein nebulöses Versprechen. Ihr Wissen war etwas fest Ausgeprägtes, Substanzielles; etwas, das sich der neu in ihr erwachte Teil bewusst wurde. Sie konnte die Aufrichtigkeit seines Versprechens beinahe mit den Händen greifen. Ähnlich wie eine Orange, nur dass man die glitschige Masse seiner Angst in Händen hielt, sobald man die Schale dieser speziellen Orange abschälte.
Und diese Angst war immens.
Es war die unbezwingbare Furcht vor dem Tod – und vor der Möglichkeit, dass er mit dem, was sie auf der anderen Seite erwartete, vielleicht doch falsch lag. Auch wenn King es nicht offen zugeben wollte, wusste Dream, dass diese Möglichkeit bestand.
Es konnte ihn zerstören.
Aber sie glaubte nicht, dass es passieren würde.
Am Nachmittag verließ King das Zimmer, um in seinem Arbeitszimmer zu »meditieren«. Dream stellte seinen Wunsch, für eine Weile allein zu sein, nicht infrage. Er war schon so lange Zeit am Leben, beinahe unsterblich, und nun trennten ihn nur noch wenige Stunden von seinem Tod.
Er brauchte Zeit, um seine Gedanken zu ordnen und seine Entschlossenheit zu festigen. Außerdem hatte er ihr bereits mitgeteilt, wie die Tat vonstattengehen würde. Die Götter, seine Todesgeister, mussten darin involviert sein, und er musste mit ihnen in Kontakt treten. Darüber hinaus waren bestimmte Vorbereitungen nötig, die er allein treffen konnte.
Das Ritual, das er ihr skizziert hatte, klang gleichermaßen wunderschön und angemessen.
Sie freute sich darauf.
Während sie allein war, wanderten Dreams Gedanken doch wieder zu Karen und Alicia zurück. Sie hatte die beiden den ganzen Tag über nicht gesehen und es hatte auch keine von ihnen nach ihr gesucht. Sie musste daher annehmen, dass den Frauen etwas Entsetzliches zugestoßen war. Der Gedanke löste den Schleier der erotischen Lust, der ihr noch immer die Sicht vernebelte, jäh in Luft auf. Ihre alte Freundin, die Schande, trübte einmal mehr ihre Stimmung und verhöhnte Dream mit Anschuldigungen, die sie nicht leugnen konnte. Sie hatte gewusst, dass sich ihre langjährigen Schulkameradinnen in Gefahr befanden, und trotzdem hatte sie sich nicht von dem heißesten Fick ihres bisherigen Lebens loseisen können, um ihnen zu Hilfe zu eilen.
Wie widerwärtig.
Wie unverzeihlich.
Dream war zumindest in einer Hinsicht eine normale Frau – sie mochte Sex. Sehr sogar. Sie verzehrte sich regelrecht danach, wenn er gut war. Aber sie wusste nicht, was es bedeutete, wahrhaft trunken vor Lust zu sein. Bis jetzt. Denn allein dieser Rausch – dieser überwältigende, ihre Sinne vernebelnde Rausch, für den sie sogar ein erbärmliches Ende in der Gosse hingenommen hätte – konnte ihr verdorbenes Verhalten erklären. Es war offensichtlich, dass einige Akte tiefster Buße ihrerseits nötig sein würden. Einer davon, die Befreiung ihrer wertlosen Seele aus dieser elenden sterblichen Hülle, war bereits in Planung. Aber es gab noch etwas anderes, das sie jetzt gleich tun konnte – sie konnte nach ihren Freundinnen suchen.
Auch die Gewissheit, dass diese Einsicht reichlich spät kam, hielt sie nicht davon ab.
Der Versuch an sich war ihre moralische Pflicht.
Dream kletterte aus dem Bett, fand die Reisetasche, die Miss Wickman irgendwann vorbeigebracht hatte, und zog den Reißverschluss auf. Sie tastete nach der Glock, erlebte einen Moment der Panik, als sie nicht dort war, wo sie hätte sein sollen – versteckt unter dem Knäuel aus BHs und Höschen in der rechten Ecke –, und genoss die unendliche
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