Haus des Blutes
Quelle der Furcht vor ihm auf – die Aussicht, dass sein Vater von diesem Zwischenfall erfahren könnte. Chad redete sich ein, dass sein Vater nicht die geringste Ahnung davon hatte, was für ein Außenseiter sein Sohn war, und er wollte diese Fassade eines normalen Jugendlichen verzweifelt aufrechterhalten. Von einer Gruppe Fremder verprügelt zu werden, war weitaus akzeptabler als diese schreckliche Alternative.
Aber da wusste er auch noch nicht, dass Dream Weaver eines der beliebtesten Mädchen an seiner neuen High School war. Oder dass ihr Vater eng mit Direktor Chandler befreundet war. Daher staunte er nicht schlecht, als ihn der Footballspieler, der ihn festgehalten hatte, losließ und begann, sich ausufernd bei Dream zu entschuldigen.
»Hey, Dream«, sagte er mit aufgesetzter guter Laune in der Stimme. »Wir wollten ihm doch nichts tun, ehrlich. Wir haben uns nur einen kleinen Spaß erlaubt und den Neuen mal ein bisschen härter rangenommen. Also entspann dich, okay? Das ist wirklich keine große Sache.«
Dream baute sich vor ihm auf. »Klar, keine große Sache. Genau wie dein Schwanz, Moose.«
Ein paar von Dreams Freundinnen johlten.
Das Gesicht des Footballspielers färbte sich knallrot. »Komm schon, Dream, jetzt mach dich mal locker. Du weißt doch, wie das ist. Er ist ein Streber.«
»Nein, Moose, ich weiß nicht, wie das ist.« Chad hörte ihr ehrfürchtig zu und konnte nicht glauben, dass dieses Mädchen keinerlei Furcht zeigte, obwohl sie es mit einem Kerl aufnahm, der mehr als doppelt so groß war wie sie. »Aber ich weiß, dass man ein richtiger Schlappschwanz sein muss, wenn man Leute verprügelt, die kleiner sind als man selbst.«
Schon wenige Augenblicke später waren die Typen verschwunden, vollkommen eingeschüchtert von diesem unglaublichen Mädchen.
Sie half Chad wieder auf die Beine und wischte ihm den Dreck aus dem Gesicht, schenkte ihm ein umwerfendes Lächeln und sah dabei so strahlend schön aus, dass es sein Herz auf eine Weise berührte, die er nur mit dem Gefühl vergleichen konnte, wenn er einen Sonnenuntergang am Strand beobachtete.
Wenn er Dream ansah, ging es ihm einfach gut. Es war, als bestaunte er ein Naturwunder, wenn er in ihre Augen schaute. Er sollte schon bald feststellen, dass das zu Dreams besonderen Gaben zählte. Freundlichkeit war die Leitschnur ihres Lebens. Sie war dazu erzogen worden, die Menschen – alle Menschen – mit Anstand und Respekt zu behandeln. Es war genau diese innere Schönheit, auf die andere ansprachen, wenn ihr Zauber sie für sich einnahm. Ihre äußerliche Attraktivität verstärkte ihre bemerkenswerte Persönlichkeit dabei noch und verwandelte sie für beinahe jeden, der ihr begegnete, in eine Art Göttin.
Chad wusste inzwischen, dass ihr Liebesleben deshalb ein einziger Scherbenhaufen war. Alles an ihr schüchterte die Männer ein, die ansonsten wahrscheinlich gut zu ihr gepasst hätten. Darum ging sie mit einer Menge unwürdiger Typen ins Bett.
Beispielsweise mit Dan Bishop.
Und sie krallte sich verzweifelt an der Überzeugung fest, dass er der Richtige für sie war.
Die Erinnerung an diesen Nachmittag auf dem Trainingsplatz versetzte ihm einen Stich, als er an seine Affäre mit Karen dachte. Plötzlich traf ihn das Ausmaß seines Verrats mit voller Wucht, und ihm wurde bewusst, dass er mit seiner Enthüllung jeden einzelnen von Dreams emotionalen roten Schaltern umgelegt hatte. Allein, dass er sie als die »Passiv-Aggressive« in ihrer Freundschaft bezeichnet hatte!
Hier war sie nun also, seine Konfrontation mit sich selbst, und er konnte sie nicht länger hinauszögern.
Er blieb stehen, stellte die Tasche auf der Straße ab und seufzte. »Ich bin so ein Arsch.«
Es war alles seine Schuld.
Gut, aber was nun?
Ein Teil von ihm wollte zurück zum Auto rennen und Dream sein Herz ausschütten. Sie wissen lassen, wie viel sie ihm in all den Jahren wirklich bedeutet hatte. Sich so lange bei ihr entschuldigen, bis er ganz heiser war. Sich an ihrer Schulter ausheulen, während sie ihn im Arm hielt. Das konnte er tun. Sie würde ihm verzeihen. Er kannte sie viel zu gut. Aber er selbst würde sich nicht so schnell vergeben. Er hatte nur eine Option, das Richtige zu tun: Er musste Dream in Zukunft ihr eigenes Leben leben lassen. Seine gedankliche Argumentation vorhin war zwar vollkommen falsch gewesen; sie zu verlassen, war aber trotzdem die richtige Entscheidung.
Er schnappte sich seine Reisetasche, schwang sie wieder über die
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