Haus des Blutes
durch eine verschlossene Tür seines Unterbewusstseins nach außen zu drängen. Sein Gang verlangsamte sich, und ihm wurde bewusst, dass er mit dem Gedanken spielte, zum Wagen zurückzulaufen.
Nein!, meldete sich die mahnende Stimme wütend.
Diesmal war es beinahe ein Schreien.
Chad beschlich der leise Verdacht, dass es sich dabei gar nicht um die Stimme der Unabhängigkeit handelte, sondern um die Manifestation intensiver emotionaler Schmerzen. Einer tiefen seelischen Verletzung. Eine Erinnerung an Dream während der High-School-Zeit drängte sich in sein Bewusstsein, wie ein Bild des Hohns, das aus den niederen Regionen seiner Seele emporkroch.
Eines Tages nach der Schule hatte er den Fehler begangen, zu nahe am Trainingsplatz der Footballmannschaft vorbeizugehen. Er war neu an der Schule, aber bereits als Einzelgänger und Nerd abgestempelt worden. Niemand mochte ihn. Niemand redete mit ihm. Diese Art der Ausgrenzung aus der sozialen Hierarchie – er galt ja noch nicht einmal als Loser, ein Status, der ihm zumindest die anerkannte Mitgliedschaft in einer Gruppe bescheinigt hätte – hätte ihn vermutlich tiefer getroffen, wäre seine Kindheit nicht ohnehin von Unbeständigkeit geprägt gewesen.
Sein Vater war bei der Army und sie mussten ständig umziehen.
Während er im spätsommerlichen Sonnenlicht spazierte und dabei seine Nase in ein Taschenbuch steckte, war all dies nicht von Bedeutung. Ein paar der Footballspieler sahen, wie er den gepflasterten Weg verließ, der von der Rückseite des Schulgebäudes zur nahe gelegenen Stadtbibliothek führte. Er erreichte einen Picknicktisch, der sehr einladend auf ihn wirkte. Der Gatorade-Automat und die unzähligen Plastikbecher hätten ihm eigentlich als Warnung dienen müssen, aber er hatte nicht die geringste Ahnung von der lauernden Gefahr. Alles, was er wusste, war, dass er aufgrund der Hitze ein wenig erschöpft war und sich irgendwo für einen Moment ausruhen musste. Der Picknicktisch schien ihm dafür der ideale Ort zu sein.
Bis unvermittelt drei sehr groß gewachsene Footballspieler vor ihm auftauchten.
Er erinnerte sich noch daran, wie er in ihre feindseligen Gesichter geblickt und sie völlig naiv gefragt hatte: »Gibt’s irgendein Problem, Jungs?«
Einer von ihnen wiederholte seine Frage mit einem übertriebenen Lispeln: »Gibt’s ein Problem, Jungs?«
Er wollte aufstehen, aber eine große Hand hielt sein Handgelenk fest umklammert, riss seinen Arm auf seinen Rücken und zwang ihn auf die Knie. Ein weiterer Spieler baute sich vor ihm auf und ballte die Finger seiner getapeten Hand zur Faust. »Ich wette, du wolltest zuschauen, wie wir in unseren engen Trikots rumrennen, stimmt’s? Ihr verfluchten Schwuchteln macht mich ganz krank.«
Chad fing an zu weinen. »Bitte tut mir nicht weh.«
Die Tränen und sein Flehen zogen jedoch nur noch mehr hässliches Gelächter nach sich. Chad wollte um Hilfe schreien, aber wer würde ihm schon helfen? Die anderen Footballspieler? Das war nicht besonders wahrscheinlich. Die aufkeimende Hoffnungslosigkeit schien ihn zu ersticken. Er war nicht schwul. Nicht dass das eine Rolle spielte. Diese beschissenen Athleten nahmen ohnehin an, dass jeder, der auch nur ein wenig weicher wirkte, homosexuell war. Der Begriff »Toleranz« stand in keinem Sportler-Wörterbuch. Ihre soziale Ordnung war simpel und stützte sich auf ein einziges, unanfechtbares Prinzip: Die Starken der Welt existieren, um die Schwachen zu unterwerfen.
Sie waren die Starken.
Und er war definitiv der Schwache.
Demzufolge war er am Arsch.
Aber dann bemerkte er, dass noch jemand anwesend war. Die Haltung seiner Peiniger veränderte sich fast unmerklich, aber sie ließen noch nicht von ihm ab. Er hörte weibliche Stimmen. Eine Clique von Freundinnen vielleicht. Oder Cheerleaderinnen? Großartig – sie konnten eine ihrer Anfeuerungs-Choreografien aufführen, während die Spieler seinen Kopf abwechselnd als Sandsack benutzten.
»Was ist denn hier los?«, hörte er eine von ihnen fragen.
Eine langbeinige Blondine durchbrach den Kreis der Footballspieler, sah, wie sie Chad auf dem Boden festhielten, und feuerte eine beachtliche verbale Salve der Empörung ab. »Was zur Hölle treibt ihr Primaten da mit dem armen Kerl?« Sie baute sich direkt vor dem Spieler auf, der Chad auf den Boden drückte. »Lass ihn sofort los, Moose, oder ich sorge dafür, dass Mr. Chandler davon erfährt.«
Als Chad den Namen des Schuldirektors hörte, tat sich eine neue
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