Haus des Blutes
Straßenarbeitern, die die Regierung angeheuert hat. Diese Farbe da wurde von Maschinen aufgetragen, die von Menschen bedient wurden. Dasselbe gilt für die Leitplanken.« Sie sah Dream mit einem breiten Grinsen an. »Oder glaubst du wirklich, der Bundesstaat Tennessee würde einen Posten in seinem Haushalt einrichten, um die Straße zur Hölle zu asphaltieren?« Ein vage spöttisches Lachen löste sich aus ihrem Mund. »Ich glaube kaum.«
Es klang gut. Alicias Argumentation war vernünftig. Aber die Straße schlängelte sich weiter vor ihnen in die Dunkelheit – ein blassgraues Band, das zu beiden Seiten von dichtem Wald gesäumt wurde, und auch die völlige Abwesenheit weiterer Autofahrer hier draußen in den finsteren Bergen blieb ein Rätsel.
»Wie kommt es eigentlich, dass uns Chad unterwegs noch nicht über den Weg gelaufen ist?«, fragte Karen plötzlich.
Dream schnappte nach Luft. »Oh, Scheiße. Du hast recht.«
Sie war so sehr auf ihre eigenen Probleme fixiert gewesen, dass sie den Freund, der ihr mit einem Mal so fremd geworden war, vollkommen aus ihren Gedanken verdrängt hatte. Nun steigerte das Wissen um seine Abwesenheit die Angst, die von ihr Besitz zu ergreifen drohte, nur umso mehr.
Alicia versteifte sich neben ihr, sagte jedoch nichts. Die Tatsache seines Verschwindens schien sie so sehr zu verstören, dass sie in Schweigen verfiel. Verständlicherweise. Trotz allem – trotz des Verrats und der bösen Worte, die gefallen waren – merkte Dream, dass sie sich Sorgen um Chad machte.
Sie begann, den Straßenrand abzuscannen.
Nach einer Leiche Ausschau zu halten.
Verdammt noch mal, dachte sie.
Wo steckst du, Chad?
Er war ganz sicher nicht zum Interstate zurückgelaufen. Nicht mit der Aussicht auf ein Hotelzimmer und ein warmes Bett in der direkten Umgebung. Da er sich zu Fuß fortbewegte, hätten sie ihm schon längst begegnen müssen. Das, was Shane erwischt hatte – was immer es gewesen sein mochte –, war möglicherweise auch hinter ihm her. Dream erinnerte sich an den schmächtigen Jungen, den sie damals aus den Klauen dieser Arschlöcher von der Footballmannschaft gerettet hatte. Er war inzwischen nicht wesentlich kräftiger geworden. Im Vergleich zu Shane eher ein menschlicher Zahnstocher.
Das Bild von Shanes zerfetztem Körper tauchte erneut vor ihrem inneren Auge auf.
Sie musste sich zusammenreißen, um nicht laut loszuheulen.
Dream hätte sich beinahe erneut übergeben, aber eine plötzliche Inspiration verdrängte die unangenehmen Bilder aus ihrem Kopf. Sie schaltete das Radio an, drehte die Lautstärke hoch und sagte: »Karen, du bist doch hier in der Gegend aufgewachsen. Oder zumindest in der Gegend, von der wir glauben, dass wir uns dort befinden. Kannst du dich noch daran erinnern, welcher Radiosender den klarsten Empfang hatte?«
Karen zögerte nicht eine Sekunde. »Rock 106, falls es den noch gibt – 106,7.«
Dream stellte die Frequenz ein, drehte noch ein wenig lauter und vermutete: »Dann sollte also gleich Metallica unser Trommelfell zum Platzen bringen.«
»Ja.«
Alicia mischte sich ein: »Die Gute wohnt seit zehn Jahren nicht mehr hier. Der gottverdammte Radiosender ist wahrscheinlich längst pleite.«
Dream startete den Suchlauf des Radios. »Warten wir’s ab.«
Das digitale Display erreichte das hintere Ende des Frequenzbands. Suchte ein zweites Mal das komplette Spektrum ab. Und ein drittes Mal. Das Radio fand überhaupt nichts. Kein Rauschen. Kein noch so schwaches Signal. Dream schaltete es wieder aus. »Was hältst du davon, Alicia?«
Ihre Freundin zuckte die Schultern. »Ist offensichtlich kaputt.«
Dream stöhnte innerlich auf.
Zieh deinen Kopf aus dem verfluchten Sand.
Sie sagte: »Es ist nicht kaputt. Erinnere dich. Es war an, bevor wir den Interstate verlassen haben.« Sie wollte sich nicht mehr streiten, sondern legte einfach die unwiderlegbaren Fakten dar. Ihre Stimme blieb dabei ganz ruhig. Sie machte sich selbst Angst. »Und außerdem hätten wir Chad längst aufgreifen müssen.«
Alicia runzelte die Stirn und seufzte vernehmlich. »Hör zu, ich werde ganz sicher nicht nachgeben. Für alles, was passiert ist, gibt es eine rationale Erklärung.«
Karen lachte. »Darauf kannst du wetten, Scully.«
»Du hast mich nicht ausreden lassen.« Dream, die von der realitätsfernen Einstellung ihrer Freundin schon ein wenig genervt gewesen war, entdeckte beruhigt, dass sich bei Alicia wieder ein Funken Vernunft ins Denken einschlich. »Ja, ich
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