Haus des Blutes
bin von Natur aus eine Skeptikerin. Trotzdem bin ich inzwischen der Meinung, genug ist genug. Wir sollten umdrehen und wieder auf den Interstate fahren. Es bringt rein gar nichts, wenn wir hier durch die Einöde kurven und uns gegenseitig in den Wahnsinn treiben.«
Dream warf einen Blick auf die Tankanzeige. »Das ist leider keine Alternative mehr.«
Die Nadel bewegte sich bereits in einem gefährlich niedrigen Bereich und schien genau in dem Moment, als sie hinsah, noch ein wenig tiefer zu rutschen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis ihnen der Sprit ausging.
Alicia lehnte sich zur Seite und schielte auf die Anzeige. Besorgnis – und möglicherweise aufkeimende Panik – legten ihre Stirn in tiefe Falten. »Fuck.«
Karen stöhnte auf. »Wir sitzen bald fest, oder?«
Alicia lehnte sich in ihrem Sitz zurück. »Scheiße, Scheiße, Scheiße.«
»Das kann doch nicht wahr sein.« Karens Stimme klang wie ein Winseln. »Warum ist denn hier draußen überhaupt nichts?«
Dream schaltete das Fernlicht wieder ein und lenkte den Wagen um eine weitere Kurve. Das sanfte Dahinrollen der Reifen auf dem Asphalt endete abrupt. Sie hüpften in ihren Sitzen wild auf und ab, als das Auto von einer Sekunde auf die andere über die Spurrinnen eines Feldwegs rumpelte. Die Straße wand sich noch immer durch dicht stehende Bäume, doch die Dunkelheit schien nicht mehr ganz so undurchdringlich zu sein.
Ihre erschrockenen Schreie hallten durch die Nacht.
Dream entdeckte das Flackern eines Lichtscheins zwischen den Bäumen.
Sie räusperte sich. »Hey, Mädels …«
»Dreh um!«, brüllte Karen. »Drauf geschissen, ob das Benzin noch bis zum Interstate reicht – bring uns einfach nur weg.«
Aber Dream steuerte den Wagen um eine weitere Kurve, und das Licht zwischen den Bäumen nahm an Helligkeit zu. Die Straße kletterte in einem steilen Winkel den Berg hinauf, und als sie einen schnurgeraden Abschnitt passierten, nahmen sie das Leuchten auf einer weiten Lichtung wahr, die hinter einem kleinen Hügel andeutungsweise zu erkennen war. Dream trat das Gaspedal erneut voll durch und das Auto schoss gehorsam über den festgefahrenen Erdboden.
Alicia packte sie an der Schulter. »Dream? Was zum Teufel ist los mit dir? Dreh um, oder so wahr mir …«
Der Honda erreichte den höchsten Punkt des Hügels und das Gelände flachte ab.
Karen stieß einen Pfiff aus. »Habt ihr das gesehen?«
Sie hatten es gesehen.
Der Protest, der Alicia bereits auf der Zungenspitze lag, blieb unausgesprochen.
Das Haus des Meisters ragte direkt vor ihnen empor. Eine Ansammlung von Scheinwerfern erhellte die Fassade. Während sie sich dem Anwesen näherten – einer großen, steinernen Villa –, wiederholten Dreams Freundinnen ihren Wunsch, von hier abzuhauen. Sie ignorierte ihr aufgeregtes Geplapper und starrte stattdessen fasziniert auf die dorischen Säulen, die sich an beiden Enden einer lang gestreckten Veranda erhoben und einen mächtigen Balkon einrahmten, der an den nicht minder imposanten Vorgarten grenzte.
Es war beeindruckend.
Ein finsterer Wächter, der vor dem Berg auf seinem Posten stand.
Und doch …
Dream wurde von einer flüchtigen, überaus lebhaften Vorahnung heimgesucht.
Einem kurzen Schauer des Vertrauten.
Sie hatte dieses Haus nie zuvor gesehen, kannte weder das Mansardendach noch die Giebelfenster von früher, und doch löste der Anblick ein seltsames – unbestreitbar angenehmes – Gefühl in ihr aus.
Sie hatte das Gefühl, hierher zu gehören.
Das Gefühl, an diesem Ort sein zu müssen.
Sie fuhr weiter.
Kapitel 13
Der Mann hinter dem Schreibtisch strahlte dieselbe spröde Distanziertheit aus wie jeder andere nüchterne, dienstbeflissene Verwaltungsangestellte, dem Chad in seinem bisherigen Leben begegnet war. Groß und dünn, ausgemergelt, mit knochigen Händen und den dunklen, rücksichtslosen Augen eines Wolfes. Er trug einen schwarzen Anzug über einem frisch gebügelten weißen Hemd und eine schmale, dunkle Krawatte – die Art von Kleidung, wie sie auch bei einem Bestattungsunternehmer nicht unpassend erscheinen würde. Mit seinem gelangweilten Gesichtsausdruck gelang es ihm, gleichzeitig Ungeduld, Verachtung und hochnäsige Überlegenheit auszustrahlen.
»Nun«, sagte er und wandte sich mit schmieriger, bedeutungsschwerer Stimme, die Chad an Hollywood-Schauspieler Peter Lorre erinnerte, Cindy zu. »Ich habe hier einen Antrag auf Befreiung vor mir.« Er nickte in Cindys Richtung. »Und du bist, wie ich daraus
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