Haus des Blutes
passiert.«
Es folgte ein langer Augenblick der Stille. Die Spannung war beinahe körperlich greifbar. Das Einzige, womit Dream die Atmosphäre vergleichen konnte, die in dieser Sekunde im Wagen herrschte, war die erste verlegene Unterhaltung, die sie mit Dan geführt hatte, nachdem sie ihn in den Armen dieses … Typen erwischt hatte. Es war mit Abstand die unangenehmste Situation in ihrem bisherigen Leben gewesen.
Aber dieser Moment sortierte sich unmittelbar dahinter auf Platz zwei ein.
Dream seufzte. »Sie hat recht.«
»Was du nicht sagst!«, erwiderte Karen.
Alicia schniefte. »Na, ich schätze, dann bin ich verdammt noch mal nix weiter als ’ne bescheuerte Vollidiotin, weil ich nämlich keine Ahnung hab, wovon zur Hölle ihr da eigentlich quatscht.« Sie nahm ihre Hand von Dreams Nacken. »Vielleicht sollte es also eine von euch noch mal ganz langsam für ein kleines schwarzes Dummerchen wie mich buchstabieren.«
Dream sah Alicia an. »Was denkst du, wie weit wir gekommen sind, seit wir den Interstate verlassen haben?«
Alicia zuckte mit den Schultern. »Zehn Meilen? Vielleicht noch ein paar mehr?«
Dream schüttelte den Kopf. »Etwas mehr als 20 trifft es eher.«
Sie ließ die Information ein wenig sacken, bevor sie fortfuhr: »Und wann bist du das letzte Mal so weit hinter einer Interstate-Ausfahrt gewesen, ohne eine Exxon-Tankstelle oder ein Holiday Inn zu Gesicht zu kriegen? Selbst in einer spärlich besiedelten Gegend sollte es wenigstens irgendwas geben. Ein billiges Motel, einen kleinen Laden, in dem man Sprit und Lebendköder zum Fliegenfischen kaufen kann. Irgendwas in der Art.« Sie unterbrach sich und sah, dass sie nun Alicias volle Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. »Aber hier ist gar nichts, und ich meine wirklich gar nichts. Uns ist kein einziges anderes Auto begegnet. Und ich hab weder ein Straßenschild noch eine Reklametafel bemerkt. Gar nichts.«
Es folgte ein weiterer Moment unbehaglichen Schweigens. Bedrückender Stille. Sie konnten beinahe fühlen, wie sich die Nacht immer dichter um sie wob. Alicias Tonfall klang ungewöhnlich schrill, als sie erwiderte: »Und was willst du damit sagen?« In ihrer Stimme schwang Wut mit, aber es lag auch so etwas wie ein Anflug echter Panik darin. »Weil du nämlich nicht das meinen kannst, was ich glaube, dass du meinst.«
Karen lachte trocken. »Du kannst deinen Arsch drauf verwetten, dass sie genau das meint.«
Alicia lachte auf. »Dann war das also Ausfahrt 666 da hinten, ja? Wir sind in eine andere Dimension abgebogen.« Eine weitere Pause, ein weiteres verächtliches Glucksen. »Blödsinn! Das war nicht das Tor, das von Tennessee direkt ins beschissene Bermudadreieck führt! Ihr seid nur beide so gestresst, dass eure Fantasie mit euch durchgeht.«
»Hier dreht niemand durch, Alicia.« Dream sprach mit betont ruhiger Stimme. »Alles, was ich damit sagen will, ist, dass wir uns in einer sehr ländlichen Gegend verfahren haben. Unser Tank ist vielleicht noch zu einem Viertel voll. Um die Wahrheit zu sagen, sogar noch ein bisschen weniger. Ich weiß ja nicht, wie’s euch beiden geht, aber die Vorstellung, heute Nacht hier draußen zu stranden, jagt mir ’ne Scheißangst ein.«
Alicia schien sich zu entspannen, nachdem zumindest eine ihrer Freundinnen so klang, als wäre sie wieder normal. »Also gut …« Sie seufzte. »Ich bin mir sicher, dass das Benzin noch so lange reicht, bis wir Hilfe finden. Mit einem Vierteltank kommen wir, was, noch etwa 40 oder 50 Meilen weit?« Sie lachte. »Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass dieses Nichts sich noch mal 50 gottverdammte Meilen in die Länge zieht. Ihr vielleicht?«
Dream wollte sich das gar nicht vorstellen. »Nein.« Sie schüttelte den Kopf und stieß ein zitterndes Seufzen aus. »Ganz bestimmt nicht.«
Karen schnaubte. »Netter Rückzieher, Dream. Tja, Fräulein Diplomatie, tut mir ehrlich leid, aber meiner bescheidenen Meinung nach sind wir im Arsch.«
Alicia schaute Dream an und verdrehte die Augen, in denen ein verschwörerisches Aufblitzen zu erkennen war. Dream quittierte es nur mit einem leichten Schulterzucken. Sie wollte dieses Schiff, in dem sie gemeinsam festsaßen, auf keinen Fall zum Kentern bringen. Nicht, solange sie noch der Ansicht war, die besonnene, zuverlässige Alicia sei der entscheidende Dreh- und Angelpunkt, der sie über Wasser hielt. Insgeheim pflichtete sie jedoch ihrer Karen bei.
Etwas ging dort draußen vor sich.
Etwas Unnatürliches.
Alicia
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