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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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Suche nach etwas, von dem ich nicht einmal ahne, was es sein könnte. Neuerdings nehme ich wieder häufiger meine Bücher in die Hand – das Chirurgiebuch, das Doktor Kümmell mir überlassen hat, Vaters Anatomieatlas. Ich habe Sehnsucht nach der Medizin!
     
    Seit zwei Wochen regnete es jeden Tag. Aus Hamburg war sie Regenwetter gewöhnt. Aber nicht einmal der schlimmste Novemberregen am Jungfernstieg konnte sich mit dem vergleichen, was dieses Naturschauspiel bot: Den ganzen Tag war der Himmel bedeckt. Es regnete vormittags. Und nachmittags setzte ein sintflutartiger Regen ein, begleitet von heftigen Gewittern. Bereits nach kurzer Zeit standen die Wege von Apia knöcheltief unter Wasser, so dass es zum Teil nicht möglich war, das Haus zu verlassen. Victoria hatte gestern von ihrem Wohnzimmerfenster im Garten ein Tier durch das Gras kriechen sehen, das sie erst für eine Schlange gehalten hatte, bis Karl ihr glaubhaft versicherte, dass es sich um einen Fisch – einen Aal – handelte. Gleichzeitig war es fast unerträglich heiß. Wenn der Regen nachließ, war die Luft so feucht, dass die Kleidung am Körper klebte. Die anderen Deutschen hatten diesen Rhythmus in ihren Alltag integriert. Wichtige Besorgungen verlegte man in den etwas trockeneren Vormittag, anstrengende Arbeiten, die nicht so dringend waren, in die angenehmere Trockenzeit.
    Victoria staunte jeden Tag aufs Neue über dieses Phänomen, das wunderbar und erschreckend zugleich war und ihr einen neuen Tages- und Jahresrhythmus aufzwang.
    Nach einem Vormittag mit Alexander am Strand und einem reichhaltigen Mittagessen saß sie im Schaukelstuhl auf der Veranda und wartete. Die große Standuhr im Salon schlug zwei Uhr. Der letzte Schlag war noch nicht verklungen, als der Regen mit Blitz und Donner über sie hereinbrach. Als würde Petrus das Wasser im Himmel kübelweise ausschütten, rauschten die Wassermassen herab und verbargen alles hinter ihrem dichten Schleier. Victoria konnte nicht einmal mehr die Eingangspforte zu ihrem Garten erkennen, geschweige denn das Meer. Die Welt versank buchstäblich im Regen, und sie saß auf ihrer Veranda wie auf einer einsamen Insel und lauschte dem Rauschen.
    Alexander lag satt und zufrieden neben ihr in seinem Bettchen und schlief. Lächelnd sah sie auf ihn hinab. Mit seinen sechs Monaten war seine Haut bereits sonnengebräunt, im Gegensatz zu den meisten Kindern der deutschen Familien, die bleich und blutarm aussahen. Die Frauen aus Apia, allen voran Mechthild, hatten ihr geraten, den Kleinen im Haus zu lassen, zumindest so lange, bis er alt genug sei, um laufen zu können. Die warme, feuchte Tropenluft sei gesundheitsschädigend für Säuglinge und Kleinkinder – ebenso wie das Meer, der Sand, die Sonne, die Pflanzen oder die Tiere. In ihren Augen schien die ganze Welt nur aus Gefahren zu bestehen, vor denen sie ihre Kinder schützen mussten. Diese Frauen sperrten ihren Nachwuchs förmlich ein. Und wenn die Kleinen doch einmal die Häuser verlassen durften, trugen sie schwer an den zahllosen Schichten ihrer Kleidung, den Tropenhelmen oder den breitkrempigen Hüten mit Moskitonetzen davor. Und jedes Stöhnen, Quengeln oder roterhitzte Gesicht wurde augenblicklich als Beweis gewertet, wie unbekömmlich das Leben außerhalb für die Kinder war.
    Diese übertriebene Fürsorge war Victoria nicht unbekannt. Auch in Hamburg hatten Freundinnen und Nachbarinnen ihre Sprösslinge behandelt, als wären sie Wesen von anderen Sternen, die nicht für das Leben auf dieser Welt bestimmt waren. Je höher die Gesellschaftsschicht, umso ängstlicher waren sie. Hier auf Samoa nahm dieser überspannte Beschützerinstinkt jedoch Ausmaße an, die Victoria schmunzeln ließen. Die Frauen hatten nur wenig zu tun, noch weniger als in Deutschland. Für jede Aufgabe hatten sie Dienstboten, die Kreise, in denen sie verkehrten, waren klein und überschaubar, und die Geschäfte wechselten ihr Angebot bestenfalls einmal im Monat, wenn die
Lübeck
oder ein Handelsschiff Apia angelaufen hatte. Und schließlich lieferte ihnen die Insel selbst ein Argument, das nicht entkräftet werden konnte: Die Inselwelt Polynesiens war in der Tat eine fremde Umgebung und mit Deutschland in keiner Weise vergleichbar.
    Trotzdem hielt sich Victoria nicht an die Ratschläge der anderen Frauen. Sie bedauerte die blassen Kinder, die auf dieser herrlichen Insel geboren worden waren, ohne jemals ihre Reichtümer zu Gesicht zu bekommen. Sie wollte ihrem Sohn die warme,

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