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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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nach Blüten, Meer und Bäumen duftende Luft nicht vorenthalten, ebenso wenig wie die Sonne, das Meer oder den feinen weißen Sand. Deshalb hielt sie es mit ihm wie die Mütter seiner samoanischen Spielgefährten: Sie bekleidete ihn nur leicht, nahm ihn überallhin mit und ließ ihn im Schatten einer Palme am Strand oder im Garten spielen. Die deutschen Damen runzelten missbilligend die Stirn, wenn sie mit ihrem Sohn auf dem Arm spazieren ging. Dieselben Damen rümpften auch ihre Nasen, wenn sie gemeinsam mit Lotte am Nachmittag auf der Veranda saß oder Alexander ein samoanisches Schlaflied vorsang. Mechthild war höchstpersönlich bei ihr erschienen, um sie darauf hinzuweisen, dass ein derart vertrauter Umgang mit den Eingeborenen für eine »Dame des öffentlichen Lebens« ebenso wenig angemessen sei, wie das eigene Kind zu einem »Wilden« zu erziehen. Aber da kannten sie Victoria schlecht. Sie hatte beschlossen, sich von den »Damen des öffentlichen Lebens« nicht beeinflussen zu lassen. Alexander würde hier auf Samoa aufwachsen, es war seine Heimat, ihr gemeinsames neues Zuhause. Er sollte sich als Teil dieser Insel fühlen, nicht als geduldeter Gast oder als Fremder.
    Selbstverständlich sollte er seine Wurzeln nicht vergessen. Deshalb redete sie mit ihm in ihrem Haus ausschließlich deutsch. Doch das konnten die feinen Damen natürlich nicht wissen. Sie sahen und hörten nur, dass sie auf der Straße und am Strand samoanisch mit ihm sprach. Im Übrigen war Victoria davon überzeugt, dass der Herrgott die Babys für das Leben auf dieser Welt geschaffen hatte und sie Luft und Sonne vertrugen. Das sagte auch Doktor von Kolle. Die Samoaner sperrten ihre Kinder ja auch nicht ein. Ein Blick auf ihren prächtigen, gutgedeihenden Sohn mit seinen rosigen Wangen gab ihr und dem Arzt recht. Allerdings hatte ihre unbeugsame Haltung dazu geführt, dass das Verhältnis zu den anderen Frauen merklich abgekühlt war. Die anfänglich täglichen Einladungen zu Tee, Mittagessen oder Abendgesellschaften waren deutlich seltener geworden. Aber traurig war sie deshalb nicht, obwohl sie sich zuweilen einsam fühlte.
    »Tee für dich.«
    Lotte stellte ein Tablett auf dem Tisch ab und schenkte Tee in die feine Porzellantasse. Dass ihr Hochzeitsteeservice die lange Schiffsreise bis auf einen angesprungenen Teller unbeschadet überstanden hatte, erschien ihr immer noch wie ein Wunder.
    »Wenn du Zeit hast, dann setz dich doch bitte zu mir«, sagte Victoria und deutete auf den zweiten Schaukelstuhl. Die Samoanerin war eine stille, freundliche Person, mit der sie sich gern unterhielt, ob bei der Arbeit im Haus, hier draußen auf der Veranda oder im Garten. In den vergangenen Monaten hatte sie die Gespräche mit ihrer Haushälterin zu schätzen gelernt. Anders als die deutschen Damen erteilte Lotte ihr nie ungebetene Ratschläge. Doch ihre Ansichten zeugten von einer Tiefe und Weisheit, die Victoria in Erstaunen versetzten. Und mit der Zeit war etwas zwischen den beiden Frauen entstanden, das man als Freundschaft bezeichnen konnte. »Nimm dir doch auch eine Tasse Tee.«
    Die Samoanerin lächelte, nahm Platz und schenkte sich ebenfalls ein.
    Gleichzeitig schaukelten sie langsam vor und zurück und sangen dabei leise ein samoanisches Lied, ein Lied für die Regenzeit. Es war still, kein Mensch war zu sehen. Selbst die Einheimischen hielten sich während des Regens in ihren mit Palmstroh gedeckten, zu allen Seiten hin offenen Häusern auf, aßen, spielten mit den Kindern, unterhielten sich oder nutzten die Gelegenheit für ein Nickerchen. Die feinen Damen von Apia saßen jetzt sicher ebenfalls beisammen. Vielleicht trafen sie sich in Mechthilds Haus, tranken Kaffee und sprachen über die skandalösen Zustände, die im Haus Seymour herrschten, wo die Haushälterin – eine Eingeborene – im Schaukelstuhl neben der Dame des Hauses auf der Veranda sitzen und Tee trinken durfte.
    »Wie geht es deiner Familie?«
    Victoria freute sich, wenn Lotte von ihren sieben Kindern erzählte, kleine Begebenheiten, die ihr die Sprache und die Lebensgewohnheiten der samoanischen Bevölkerung näherbrachten. Lottes älteste Tochter war nur wenige Jahre älter als sie und hatte bereits selbst drei Kinder. Der zweitälteste Sohn hatte gerade erst vor einigen Wochen geheiratet. Seine Frau war eine »Taupou«, eine Ehrenjungfer aus einem benachbarten Dorf. Diese Verbindung war eine große Ehre.
    »Die Kinder wachsen, sie sind alle gesund. Ajona wird heiraten,

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