Haus des Glücks
sobald die Regenzeit vorbei ist. Ich bin froh, dass es endlich so weit ist. Ein Mann aus dem Nachbardorf will sie zur Frau nehmen. Ein guter Mann, jung, stark und höflich, ein ausgezeichneter Fischer. Er wird eine Familie ernähren können. Und Taisi erwartet bald Besuch von den Verwandten seiner Frau.«
Victoria schmunzelte. Es hatte eine Weile gedauert, bis sie verstanden hatte, dass im Samoanischen die Worte für »Verwandtschaft«, »Hochzeit« und »Besuch« auch »lästig«, »Unglück«, »Kummer« und »Schaden« bedeuteten. Anfangs hatte sie das darauf zurückgeführt, dass Gäste die Gewohnheit hatten, so lange zu bleiben, bis alle Vorräte aufgegessen waren. Mittlerweile dachte sie etwas anders darüber. Wie oft hatte ihre Mutter gestöhnt, wenn die Eltern ihres Vaters oder ihre eigenen zu Besuch gekommen waren? Sie hatte dann stets das beste Porzellan, Silber und Kristall aus den Schränken geholt und Küche und Keller auf den Kopf gestellt, nur um ihre Gäste zu beeindrucken. Wenn sie da waren, hatte sie angespannt darauf geachtet, alle Anwesenden zu unterhalten, und wenn sie gingen, erleichtert aufgeatmet. Die Samoaner waren ehrlicher. Wenn sie die Worte »Besuch« oder »Verwandtschaft« in den Mund nahmen, brauchten sie nicht Freude zu heucheln. Jeder war sich dieser Zweideutigkeit bewusst. Und das erleichterte einen gelösten, unverkrampften Umgang miteinander.
»Grüßen Sie bitte alle ganz herzlich von mir, vor allem Ajona.« Victoria mochte die ganze Familie. Am meisten aber mochte sie Taisi, den zweitältesten Sohn, einen schlanken jungen Mann mit dichtem, schwarzen Haar, der seinen Vater um Haupteslänge überragte. Er kam oft, um seinen Eltern bei der Arbeit im Garten oder den Reparaturen am Haus zu helfen. Er hatte die stille, ruhige Gelassenheit seines Vaters, die leuchtenden Augen seiner Mutter und einen wunderbaren Humor, mit dem er Victoria oft zum Lachen brachte.
»Alexander geht es gut?« Lotte schaute lächelnd in das Körbchen, in dem Alexander immer noch tief und fest schlummerte. Dabei nahm ihr Gesicht einen zärtlichen Ausdruck an, als wäre er ihr eigener Enkel.
»Unter diesem wunderbaren Himmel wächst und gedeiht er prächtig.«
»Es ist gut, dass du ihn nicht einsperrst, wie die anderen Frauen es mit ihren Kindern machen«, sagte Lotte und schüttelte den Kopf. »Das ist unvernünftig. Ein Kind muss an die Luft, nicht im Haus bleiben. Noch dazu in diesen von allen Seiten geschlossenen Häusern der Weißen. Ohne Sonne und Regen, wie soll ein Kind da wachsen können?«
»Ganz meine Meinung.«
Eine Weile schaukelten sie schweigend im Rhythmus des Regens.
»Ich möchte dich um einen Rat bitten«, sagte Victoria schließlich. »Ich habe dir erzählt, dass ich in meiner Heimat viel gelernt habe, dass ich mich um Kranke gekümmert habe und Ärztin werden wollte. Als wir hier ankamen, hat Doktor von Kolle mir angeboten, ihm in seiner Praxis zu helfen. Jetzt frage ich mich, ob ich den Vorschlag des Doktors annehmen sollte. Was meinst du dazu?«
Die Haushälterin schaukelte weiter und sah dabei auf das Meer hinaus. »Warum möchtest du das tun?«
»Es gibt viele Gründe: Ich habe meine Arbeit im Krankenhaus in Hamburg gern getan. Der Umgang mit kranken Menschen und das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun, anderen helfen zu können, hat mir gefallen. Ich würde es bedauern, mein Wissen ungenutzt brachliegen zu lassen. Außerdem ist mir langweilig. John ist auf der Insel unterwegs oder arbeitet den ganzen Tag im Kontor. Wenn er nach Hause kommt, ist er müde und wünscht seine Ruhe. Und Alexander … Ich liebe ihn über alles. Aber ich kann nicht mit ihm sprechen.«
»Warum zögerst du?«
Victoria zuckte mit den Schultern. »Was werden die anderen dazu sagen? Mechthild? Der Gouverneur?«
Lotte deutete auf Alexander. »Kümmert dich ihre Meinung, wenn es um ihn geht?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil ich den Eindruck habe, dass es so besser für ihn ist.«
»Dann solltest du auch für dich tun, wovon du überzeugt bist, dass es für dich gut ist.«
Victoria nickte langsam.
»Hast du mit deinem Mann gesprochen?«
Über wichtige Dinge schon lange nicht mehr,
dachte Victoria und seufzte. »Nein. Ich vermute, dass er einverstanden wäre, wenn es nicht ausgerechnet Doktor von Kolle wäre, in dessen Praxis ich aushelfen möchte. Er mag ihn nicht.«
»Rede mit ihm. Einen anderen Grund gibt es nicht. Du hast deine Gaben nicht erhalten, um sie im Sand zu vergraben. Du musst sie
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