Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
Vom Netzwerk:
darauf können Sie sich verlassen, Victoria. Wer weiß, was kommt? Vielleicht trifft schon bald ein neuer, junger Arzt in Apia ein. Möglicherweise haben Sie sich aber auch bis dahin so gut eingearbeitet, dass Sie die Praxis übernehmen werden.«
    »Ich?« Victoria lachte. »Sie sind offenbar nicht nur halb blind, sondern auch verrückt! Nein, Doktor, niemals! Das wird der Gouverneur nicht zulassen, geschweige denn die Damen der
feinen Gesellschaft.
Ich bin eine Frau! Außerdem habe ich keinen medizinischen Abschluss, ich bin nicht einmal voll ausgebildete Krankenschwester.«
    »Stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel, Victoria. Ich habe Sie lange genug beobachten können. Sie sind intelligent und geschickt. Sie wissen mehr als mancher Student, wenn er von der Universität kommt. Und – so Gott will – bleibt mir noch das eine oder andere Jahr, um Sie zu unterrichten und anzuleiten. Ich bin sicher, dass Sie es schaffen würden. Außerdem kann es doch sein, dass Frauen schon bald zur Ausübung des ärztlichen Berufs zugelassen werden, nicht wahr? Und wer fragt hier am Ende der Welt nach Dokumenten, Abschlüssen und Titeln, solange Sie Ihre Arbeit gut machen?«
    »Ich glaube aber nicht, dass wir darauf bauen sollten.«
    »Sie sind doch religiös, nicht wahr? Werten Sie es einfach als Gottes Fügung.«
    »Gottes Fügung?« Sie lachte auf. »Es kommt mir eher vor, als würde ich einen Pakt mit dem Teufel schließen. Was halten Sie von folgendem Vorschlag: Wir machen so weiter wie bisher, und ich wahre die Schweigepflicht. Im Gegenzug sprechen Sie selbst mit dem Gouverneur, damit er so bald wie möglich einen neuen Arzt aus Deutschland anfordern kann. Was halten Sie davon?«
    Friedrich dachte kurz nach. »Das können wir machen.« Er streckte ihr die Hand entgegen. »Ich spreche mit dem Gouverneur, sobald sich die Gelegenheit ergibt, und Sie assistieren mir wie besprochen hier in der Praxis.«
    Sie ergriff seine Hand. Ihr Händedruck war fest und entschlossen. »Einverstanden.«
    »In der Zwischenzeit reden Sie mit niemandem über meine Krankheit. Nicht einmal mit Ihrem Mann!«
    »Selbstverständlich.«
    Friedrich ließ sich erleichtert in den Sessel zurücksinken. »Dann hätten wir das wenigstens geklärt. Ich finde, für heute sollten wir die Praxis schließen. Ihr kleiner Sohn wartet bestimmt schon auf Sie, und ich würde mich gerne hinlegen. Ich bin furchtbar müde.«
    »Eine Folge Ihrer Erkrankung?«
    »Ja. Rasche Ermüdbarkeit, Kopfschmerzen bei Überanstrengung, Übelkeit.«
    »Dann ruhen Sie sich aus, Doktor«, sagte sie und erhob sich. »Sie sollten sich Ihrem Augenlicht zuliebe etwas mehr schonen. Jetzt, da ich Bescheid weiß, kann ich in Zukunft darauf achten, dass Sie genug Pausen haben.« Sie reichte ihm nochmals die Hand. »Auf Wiedersehen, Doktor. Bis morgen.«
    »Bis morgen, Victoria.« Er schloss die Tür hinter ihr und ging in sein Schlafzimmer im ersten Stock. Er zog sich die Schuhe von den Füßen und streifte die Hosenträger von den Schultern. Als er sich ausstreckte, seufzte er erleichtert auf. Wie gut es tat, sich hinzulegen. Und wie gut es tat, sich nicht mehr verstellen zu müssen, endlich einen Menschen zu haben, der um seine bevorstehende Erblindung wusste, mit dem er reden konnte. Hätte ihm das jemand zuvor gesagt, er hätte demjenigen nicht geglaubt. Aber es stimmte schon. Die Wahrheit zu sagen zahlte sich aus. Und sei es nur durch ein gutes, befreiendes Gefühl.
     
    Apia, 17 . April 1893
     
    Jetzt ist es soweit: Die »Lübeck« ist heute zum letzten Mal aus Apia ausgelaufen, um ihre Reise durch die Südsee anzutreten. Die Reichspost stellt ihren Dienst ein. In den vergangenen Tagen gab es darum viel Aufsehen – die Mannschaft der »Lübeck« wurde zu einem Dinner eingeladen, und es gab ein Fest am Hafen zur Begrüßung und ein noch größeres zur Verabschiedung. Alles, was in Apia Beine und einen Arm zum Winken hatte, stand heute am Kai und sah zu, wie der mit Blumen geschmückte Schornstein der »Lübeck« langsam am Horizont verschwand. Und ich glaube, selbst bei einem Begräbnis würden nicht so viele Tränen vergossen werden, wie an diesem Nachmittag.
    Natürlich wird sie nicht das letzte Schiff gewesen sein, das Samoa angesteuert hat, sie wird nicht einmal das letzte deutsche Schiff gewesen sein. Trotzdem fällt es mir schwer, daran zu denken, daß ihr gelb-blau gestreifter Schornstein nicht mehr alle vier Wochen am Horizont erscheinen und schwarze Qualmwolken in den

Weitere Kostenlose Bücher