Haus des Glücks
auszumachen. Der schwarze Rauch aus ihren Schornsteinen behindert den freien Blick aus der Bucht, und die Kanonen sind deutlich zu hören. Vorgestern haben sie begonnen, Apia zu beschießen. John bestand darauf, daß ich mit Alexander und Konstantin ins Landesinnere gehe. Ich habe ihm nicht widersprochen. Seit dem Erdbeben 1892 und dem Zyklon vor zwei Jahren habe ich nicht mehr solche Angst gehabt wie bei dem Geräusch der Kanonen.
Ich bin rund und dick wie ein Faß, und bei der Hitze kann ich mich kaum bewegen. Es kann jetzt jeden Tag soweit sein. Glücklicherweise haben Lotte und Karl uns in einem der Häuser ihrer Familie in Tanugamanono aufgenommen. Uns geht es hier gut. Alexander und Konstantin fühlen sich wohl. Unsere deutschen Nachbarn vermissen sie kaum. Sie spielen ohnehin lieber mit den einheimischen Kindern als mit denen der Europäer, und ich habe oft beobachtet, daß die beiden untereinander samoanisch sprechen. Das Leben hier im Dorf ist einfach: Man steht auf, ißt, geht fischen oder Früchte sammeln, füttert die Schweine, bereitet die Mahlzeiten zu, fegt das Haus, sitzt mit der Familie zusammen. Ich habe mir bisher nicht vorstellen können, wie so viele Menschen in diesen nach allen Seiten hin offenen Häusern zusammenwohnen. Aber es geht. Diskretion ist offenbar keine Frage der massiven Wände und abschließbaren Türen, sondern eine Frage der Gewohnheit, der Erziehung und der Kultur. Wenn man will, reichen ein paar bunte, gewebte Tücher, die von der Decke herabhängen, um Blicke und Zuhörer fernzuhalten. Zudem hat die Offenheit den Vorteil, daß der Wind nachts ungehindert hindurchwehen und für Erfrischung sorgen kann. Die »fales«, wie die Samoaner ihre Häuser nennen, sind zu jeder Tageszeit kühler als unser Haus, und obwohl ich mich mittlerweile kaum von der einen auf die andere Seite drehen kann, kann ich doch recht gut schlafen. Einzig das Aufstehen fällt mir schwer, denn man schläft auf geflochtenen Palmenmatten auf dem Boden, und man sitzt auch so, ob beim Essen oder beim geselligen Beisammensein, ist gleichgültig. Meist muß Lotte oder eine der Frauen mir aufhelfen. Dann lachen wir. Es sind wirklich überaus freundliche, höfliche Menschen. Und wenn ich ihnen mit meinen bald drei Sprösslingen eine Last bin, so lassen sie es sich wenigstens nicht anmerken. Taisis Frau ist vor wenigen Wochen gestorben, und das ganze Dorf trauert mit ihm und den Kindern. Sie muß eine außergewöhnliche Frau gewesen sein. Lotte sagte, es wird schwer werden, eine neue Frau für ihn zu finden, die ihr gleichkommt. Ich wünsche es ihm von ganzem Herzen.
Ich versuche, mich nützlich zu machen. Ich helfe beim Kochen oder fege das Haus oder beaufsichtige die Kinder, obgleich das meist nicht nötig ist. In der Nähe des Dorfes gibt es einen Teich, der von einem kleinen Wasserfall gespeist wird. Dort spielen sie den ganzen Tag. Die Älteren passen auf die Jüngeren auf und bringen ihnen Schwimmen und Tauchen bei. Auch Konstantin beherrscht es mittlerweile recht gut. Wenn wir die Kanonen der Kriegsschiffe nicht bis hierher hören würden, könnte man meinen, wir wären in den Ferien und nicht im Krieg.
Karl und die anderen Männer aus dem Dorf gehen jeden Tag zur Arbeit auf die Plantagen und nach Apia. Von ihnen wissen wir, daß ein Ende des Konflikts noch nicht in Sicht ist. Jede Seite hat mittlerweile Schiffe verloren, und täglich werden tote Matrosen oder Wrackteile an den Strand gespült.
Karl bringt mir jeden Tag einen Brief von John. Von ihm weiß ich auch, daß es der Wahrheit entspricht, wenn John schreibt, daß es ihm gutgeht. Er versucht, das Kontor den widrigen Umständen zum Trotz am Laufen zu halten, aber durch den stark eingeschränkten Handel gibt es für ihn nur wenig zu tun, und er langweilt sich. Seit Beginn des Konflikts konnten erst zwei Schiffe mit Kopra den Hafen von Apia verlassen, eins mußte wegen der Seegefechte zurückkehren und liegt dort bereits seit sechs Wochen. John schreibt, daß die Seeleute allmählich den Inselkoller bekommen und auch tagsüber betrunken und randalierend durch die Stadt ziehen. Er ist froh, daß wir in Sicherheit sind.
Der Gouverneur hat unterdessen verlauten lassen, daß sich alle gesunden Männer bereithalten sollen. Im Notfall will er sie zu den Waffen rufen. Mein John soll kämpfen! Bei dem Gedanken wird mir angst und bange. Ich bete, daß es nicht soweit kommt. Allerdings weiß ich aus seinem letzten Brief, daß John noch ganz andere Sorgen
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