Haus des Glücks
plagen. Er befürchtet, Großbritannien könnte den Sieg davontragen. Wenn Samoa jemals britische Kronkolonie werden sollte, werden wir unsere geliebte Insel verlassen müssen. Und das – so hat John geschrieben – wird er nicht zulassen. Also fürchte ich das Schlimmste. Er bringt es fertig und meldet sich freiwillig, um gegen die Amerikaner und Briten zu kämpfen, wenn ich nicht da bin, um ihn zur Vernunft zu bringen. So ist er!
Sorgen mache ich mir auch um den Doktor. Er kann mittlerweile fast nur noch Umrisse und Farben erkennen. Er hat mir zwar versprochen, die Praxis für die Dauer meiner Abwesenheit zu schließen, aber ich kenne ihn. Er ist ein sturer alter Esel. Und wenn ein Patient zu ihm kommt, wird er ihn untersuchen – und vermutlich umbringen. Nach der wochenlangen Belagerung unseres Hafens durch die Kriegsschiffe ist der Medizinschrank fast leer. Trotzdem habe ich ihm eingeschärft, keine Medikamente auszugeben, unter gar keinen Umständen! Hoffentlich hält er sich daran. Und hoffentlich werden nicht schon bald Verletzte versorgt werden müssen. In diesem Fall wird er mich rufen. Das hat er mir versprochen.
Worum geht es in diesem Konflikt überhaupt? Egal, mit wem ich darüber gesprochen habe, eine einleuchtende Erklärung habe ich bisher nicht erhalten. Samoa ist nicht groß. Und der ganze Reichtum der Inseln besteht aus ihrer ungewöhnlichen Schönheit, die nicht einmal für jeden so offensichtlich ist wie für mich. Alles Weitere gibt es auch in anderen Teilen der Welt – Zuckerrohr soll angeblich in der Karibik besser wachsen als hier, Kaffee, Tee oder Tabak gedeihen hier gar nicht. Goldvorkommen wurden bisher nicht entdeckt, und die einzigen schillernden Edelsteine, die es hier gibt, schwimmen im Meer. Warum also? Weshalb streiten sich zwei mächtige Länder um ein paar Quadratkilometer Sand, Berge und Palmen? Und wieso können sie ihre Auseinandersetzung nicht weit draußen auf dem Pazifik austragen, wie zwei Trunkenbolde, die vor die Kneipentür gehen, um sich zu prügeln? Warum müssen sie auch noch uns mit hineinziehen und Apia beschießen? Manchmal habe ich den Verdacht, daß es gar keinen Grund gibt und das Ganze nichts anderes ist als ein Streit zwischen Alexander und Konstantin wegen eines Bauklotzes. Jeder will diesen einen haben, obwohl die Spielkiste voll davon ist, nur weil der Bruder gerade damit spielt. Wenn ich diese Ansicht äußere, ernte ich nur mitleidige Blicke. »Frauen verstehen nichts von Politik«, sagt John. »Die Damen sollten sich aus der Politik heraushalten«, sagt der Pfarrer und vertritt von der Kanzel aus die Meinung, daß ein pflichttreuer Deutscher im Bedarfsfall zu den Waffen greifen muß. »Frauen müssen ihre Männer unterstützen«, sagt unser Gouverneur, und Mechthild hat in ihrem Kaffeekränzchen angefangen, Uniformen und Decken für die Soldaten zu nähen. Wenn ich so etwas höre, könnte ich vor Wut platzen. Da halte ich es doch lieber mit dem alten Doktor. »Da gibt es nichts zu verstehen«, sagte er, als wir neulich darüber sprachen. »Die sind verrückt. Die Leute haben Angst vor den Insassen der Irrenhäuser. Wirklich gefährlich sind aber nur die mit den blanken Abzeichen an ihren Uniformen. Die laufen frei herum und können ungehindert ganze Völker und Nationen mit in ihren Wahn reißen.«
Und während in Apia die Angst umgeht, die Vorräte knapp werden und die beiden unversöhnlichen Parteien zerstören, was sie angeblich so gerne haben wollen, sitze ich hier mit meinen Kindern auf einer Insel der Glückseligkeit, esse Bananen und frischen Fisch, lausche den alten Märchen und lasse es mir gutgehen. Manchmal habe ich den Eindruck, allmählich selbst verrückt zu werden. Hoffentlich ist das alles bald vorbei!
Friedrich lag ausgestreckt auf seinem Bett. Er schlief nicht. Bei dem Krach, den die Kanonen der vor Apia kreuzenden Kriegsschiffe verursachten, war an Schlaf nicht zu denken. Bisher hatten sich die kriegführenden Parteien begnügt, sich auf dem offenen Meer gegenseitig zu beschießen, und nur manchmal hatten sich Kanonenkugeln in die Bucht von Apia verirrt. Doch vor einigen Tagen hatten sie ihre Taktik geändert und begonnen, die Stadt gezielt unter Beschuss zu nehmen. Spätestens jetzt hätte eigentlich jeder vom Wahnsinn dieser ganzen Angelegenheit überzeugt sein müssen, doch das Gegenteil war der Fall. Die Bevölkerung war gespalten. Es gab die Deutschen, die die Briten und Amerikaner für den Konflikt verantwortlich
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