Haus des Glücks
Reisebericht in der Tageszeitung darüber gelesen.
Wie hieß diese Waffe doch gleich? Bumerang.
Mutter lenkte das Gespräch auf einen Artikel in der
Gartenlaube,
in dem eine neue Tulpenzwiebel vorgestellt wurde, bat die versammelten Damen – und speziell Frau Doktor Sengelmann als Expertin – um ihre Meinung, und glättete auf diese Weise die Wogen. Schon nach wenigen Minuten drehte sich die Unterhaltung ausschließlich um Gartengestaltung und Blumen, und die Stimmung war für diesen Abend gerettet.
Victoria mühte sich mit ihren fünf Nadeln ab. Sie begriff nicht, weshalb ihr Strumpf nicht nach einem solchen aussah, woher die vielen Löcher kamen, und warum sie überhaupt stricken musste, wenn es doch genügend andere Frauen gab, die es nicht nur besser konnten, sondern obendrein auch noch gern taten. Nebenbei konzentrierte sie sich auf die Gesprächsfetzen, die jetzt von der Bibliothek nebenan zu vernehmen waren. Sie schnappte die Worte »Pleura« und »Empyem« auf, wusste aber nicht, was sie bedeuteten und nahm sich vor, die unbekannten Fachausdrücke nachzuschlagen. Morgen. Oder heimlich in der Nacht.
Die Standuhr schlug zehnmal, die Verbindungstür öffnete sich, die Herren traten aus der Bibliothek, der Gesellschaftsabend war beendet. Einer nach dem anderen verabschiedete sich. Mutter schüttelte Hände und gab freundliche Grüße und Wünsche mit auf den Weg. Frau Doktor Sengelmann lächelte und schien es tatsächlich ernst zu meinen. Auch ihr Mann lächelte, wenngleich er dies immer tat. Vielleicht freute er sich auch über die außergewöhnlich gute Stimmung seiner Frau. Das Ehepaar Matzen verabschiedete sich höflich. Der farblose Johann Klopp bedankte sich unter mehreren Verbeugungen bei Mutter für das Essen, für den Abend, die Gastfreundschaft. Er reichte auch Victoria die Hand, wagte jedoch kaum, sie anzusehen. Eigentlich war er nett, und wenn er nicht so mager gewesen wäre, würde er sogar relativ gut aussehen. Der Gedanke, dass Frau Doktor Sengelmann vielleicht doch recht hatte und sie sich einen Ehemann suchen sollte, kam ihr kurzzeitig in den Sinn. Eine Hochzeit war schließlich auch eine Möglichkeit,
Frau Doktor
zu werden. Und gewiss war die Ehe nicht nur mit Entsagung verbunden. Ihr Blick wanderte zu Susanna und ihrem Mann. Man sah ihnen an, dass sie glücklich waren, die Luft um sie herum schien zu leuchten. Sie versuchte, den Gedanken abzuschütteln. Heirat kam nicht mehr in Frage. Schließlich hatten sie und Franziska einen Schwur geleistet.
Die Tür schloss sich hinter dem letzten Gast.
»Victoria, du solltest dich jetzt zurückziehen.«
»Natürlich, Mutter. Gute Nacht.«
Langsam stieg sie die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf, während sie hörte, wie ihre Mutter dem Dienstmädchen noch Anweisungen für das Aufräumen und den morgigen Tag gab. Das war nicht das Leben, das sie sich erträumte.
Es war schon elf Uhr, als Gotthard Bülau das Schlafzimmer betrat. Klara hatte sich bereits für die Nacht umgekleidet.
»Ein gelungener Abend«, sagte er, zog sein Jackett aus und hängte es auf. »Du bist eine wunderbare Gastgeberin.«
»Habt ihr Herren euch amüsiert?«, fragte sie, während sie im Nachthemd zu ihm trat und ihm half, die Manschetten abzunehmen.
»Es war angenehm. Martin war bester Stimmung und hat uns alle zum Lachen gebracht.«
»Was man von seiner Frau nicht behaupten kann.« Klara stieß einen tiefen Seufzer aus, knöpfte den Kragen von seinem Hemd ab und legte ihn sorgfältig auf den Ankleidetisch. »Sobald diese Frau den Mund öffnet, speit sie nichts als Gift und Galle.«
Gotthard nickte. »Ich glaube, Martin ist darüber auch alles andere als glücklich. Aber was soll er tun?«
»Ist er Arzt oder nicht? Es gibt bestimmt Mittel und Wege …«
»Klara! Ich bin entsetzt!«
Doch sie zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Er würde seiner Familie und der Welt einen Gefallen erweisen. Ich bin sicher, dass die Aussicht, endlich den Klauen dieses Drachen zu entkommen, der einzige Grund für Katharinas übereilte Hochzeit war.« Sie nahm vor dem Spiegel des Schminktisches Platz und begann, energisch ihre Haare zu bürsten. »Dieses Weib ist eine der sieben biblischen Plagen. Und das Schlimmste an ihr ist, dass sie zuweilen recht hat.«
»So?« Gotthard lächelte, während er seine Hose auf einen Bügel hängte. Es würde nicht lange dauern, bis Klara ihn darin einweihen würde, was an diesem Abend im Salon vorgefallen war. Er kannte das schon. »Was war es
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