Haus des Glücks
Klatsch und Tratsch austauschten, es nicht hören konnten.
Susanna nickte. Ihre Wangen färbten sich, als sie lächelte, und Victoria bekam ein schlechtes Gewissen. Selbstsüchtig dachte sie an den Lesezirkel, während sich für Susanna offenbar ein Herzenswunsch erfüllte.
»Wann ist es denn so weit?«
»Im August«, sagte sie leise und streichelte verstohlen über ihren Bauch. Unter ihrem weiten Rock war er Victoria bisher nicht aufgefallen. »Wir wissen es erst seit vier Wochen.«
»Freut er sich auch?«
»Und wie. Ich glaube, ich habe ihn noch nie so aufgeregt gesehen, wie an dem Tag, als ich es ihm erzählt habe. Er hat das Sofakissen genommen, es sich vor den Mund gepresst und hineingeschrien.«
»In das Sofakissen?«
»Wegen der Nachbarn«, flüsterte Susanna und beide mussten lachen.
»Worüber amüsiert ihr euch?«, fragte Frau Doktor Sengelmann. »Vielleicht dürfen wir alle mitlachen, Frau Jensen?«
»Nichts von Bedeutung«, sagte Susanna. »Wir bitten um Verzeihung.«
Sie beugte sich konzentriert über ihren Strickstrumpf, und der giftige Blick glitt auf der Suche nach seinem Ziel über sie hinweg. Victoria bemühte sich, es ihr gleichzutun. Sie tat, als würde sie emsig an der Ferse stricken. Tatsächlich versuchte sie, wenigstens das eine oder andere Wort aufzuschnappen, das durch die geschlossene Verbindungstür aus der Bibliothek drang. Doch momentan waren nur Gelächter und Gläserklirren zu hören. Vermutlich schenkte Vater erst jedem seiner Gäste ein Glas von dem französischen Branntwein ein und reichte die Zigarrenkiste herum, bevor sie mit ihren wissenschaftlichen Gesprächen begannen.
»Woran arbeitest du denn, Victoria?«, fragte Frau Doktor Sengelmann nach einer Weile mit zuckersüßer Stimme. »Ist das ein Teil deiner Aussteuer?«
»Nein«, antwortete sie und hielt ihre Strickerei hoch, so dass alle das formlose Stück sehen konnten. »Es wird ein Strumpf.«
Frau Doktor Sengelmann lächelte herablassend. »Oh, ich wollte dich nicht kränken. Du machst das schon recht gut. Er wird sehr hübsch. Und wenigstens ist er nicht blau.«
Victoria spürte, wie ihr die Zornesröte ins Gesicht stieg. Doch ihrer Mutter zuliebe biss sie die Zähne zusammen und schwieg.
»Handarbeiten liegen ihr leider nicht«, sagte Mutter in ihrer beinahe unerschütterlichen Freundlichkeit, die Johanna von ihr geerbt hatte, und für die Victoria beide bewunderte. »Dafür zeichnet und malt sie wundervoll. Sie sollten die Blumenaquarelle sehen, die sie für unsere Veranda gemalt hat. Wie aus dem Leben! Nicht wahr?«
Frau Doktor Sengelmann widmete sich wieder ihrer Stickerei und schwieg. Doch Victoria war sicher, dass sie noch nicht fertig war. Sie würde erst Ruhe geben, wenn einer ihrer giftigen Pfeile sein Ziel getroffen hatte.
Wie sie diese Frau hasste!
»Wie ich hörte, hast du den Abschluss an der Höheren Töchterschule gerade bestanden, Victoria«, sagte sie nach einer Weile. »Hast du bereits Pläne? Steht uns vielleicht demnächst eine Hochzeit bevor?«
Alle Augen richteten sich erwartungsvoll auf Victoria. Sie schluckte. Wenn sie ihrer Mutter ihre geheimen Absichten offenbarte, so gewiss nicht ausgerechnet vor Frau Doktor Sengelmann. Aber lügen wollte sie auch nicht. »Ich habe mich noch nicht entschieden«, sagte sie und hoffte, sich mit dieser Antwort weiteren unheilvollen Fragen entziehen zu können.
»Bewerber gibt es viele«, bemerkte Mutter ruhig, »und Victoria lässt sich Zeit.«
»Natürlich, meine Liebe, sie ist auch noch jung.« Frau Doktor Sengelmanns dünne Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln. »Aber meine Frau Mama sagte immer: ›Wer zu wählerisch ist, muss sich hernach mit den Resten begnügen.‹«
»Wenigstens wirft sie sich nicht dem erstbesten Mann an den Hals«, warf Jette Matzen mit ihrem singenden dänischen Akzent ein. »Manche müssen solch einen übereilten Schritt später bitter bereuen.«
Jede im Raum wusste, dass sie von Katharina, der ältesten Tochter der Sengelmanns sprach, die ihren Mann bereits kurz nach dem Debütantenball geheiratet hatte. Mittlerweile munkelte man, dass es sich um einen Trinker und Spieler handelte und dass Katharina manche Nacht im Haus ihrer Eltern verbrachte. Frau Doktor Sengelmann war bleich geworden. Aber Victoria hatte kein Mitleid mit ihr, war doch lediglich ihre eigene Bosheit zu ihr zurückgekehrt. Wie bei diesem Holz, mit dem die australischen Eingeborenen auf die Jagd gingen. Sie hatte erst kürzlich in einem
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