Haus des Glücks
denn diesmal?«
»Sie hat sich nach Victoria erkundigt, nach ihren Plänen.« Sie hielt mit dem Bürsten inne und wandte sich zu ihm um. »Ich verstehe dieses Kind nicht, Gotthard, dabei ist sie doch meine eigene Tochter! Wir müssen mit ihr sprechen, ihr unbedingt ins Gewissen reden. Es kann nicht sein, dass sie jetzt nach ihrem Schulabschluss untätig im Hause sitzt und nichts mit sich anzufangen weiß. Sie muss etwas
tun.
«
»Ich dachte, du hättest mit ihr gesprochen?«
Klara schüttelte den Kopf. »Ich hatte ihr lediglich vorgeschlagen, zu Luise und Heinrich nach Reinbek zu gehen. Die beiden haben sich in ihrem letzten Brief erneut nach Victoria erkundigt. Sie brauchen unbedingt Unterstützung im Haushalt. Die Kinder sind reizend, und sie könnte dort vieles lernen. Aber sie wurde richtig wütend. Wenn es wenigstens einen jungen Mann gäbe, der ihr Interesse fände. Aber auch da weit gefehlt.« Sie schüttelte den Kopf. »Andere Mädchen aus ihrem Jahrgang verloben sich, vervollständigen ihre Aussteuer, knüpfen Kontakte in der Gesellschaft oder übernehmen Aufgaben und Pflichten im Haushalt oder im Geschäft der Eltern.«
»Würdest du es denn gern sehen, wenn sie im Krankenhaus arbeiten oder mir in der Praxis helfen würde?«
»In der Krankenpflege?« Klara schaute ihn entsetzt an. »Gott bewahre! Das wäre das Letzte, was ich mir für meine Tochter wünsche. Die Nachbarn würden aus dem Reden gar nicht mehr herauskommen. Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber manchmal habe ich Angst, dass sie …«
»Dass sie was?«
»Ach, Gotthard, du kennst doch diese Frauen, die der Ansicht sind, sie wären Männer; die Hosen tragen und mit anderen Weibern zusammen hausen.«
»Aber Klara. Doch nicht unsere Victoria.«
»Glaubst du etwa, dass deren Mütter und Väter sich gedacht hätten, dass ausgerechnet ihre Tochter eine von denen wird? Wie willst du da sicher sein? Deinen armen Studenten hat sie heute Abend kaum eines Blickes gewürdigt, obwohl er sie unentwegt angehimmelt hat. Der junge Mann hat mir richtig leidgetan.«
»Ja, dem Johannes scheint kein Erfolg beschieden gewesen zu sein«, erwiderte Gotthard. Er trat hinter Klara und strich ihr lächelnd über das golden schimmernde Haar.
Wie schön sie war!
Selbst nach all den Jahren und trotz der feinen Fältchen, die sich allmählich um ihre Augen bildeten. »Das nächste Mal werde ich einen anderen jungen Arzt einladen. Vielleicht einen der Medizinalassistenten. Vielleicht ist ihr Johannes zu jung.«
Ihre Blicke trafen sich im Spiegel.
»Du machst dich über mich lustig, Gotthard«, sagte sie vorwurfsvoll.
»Nein, keineswegs.« Er küsste sie zärtlich auf das Haar. »Morgen werden wir mit Victoria über ihre Zukunftspläne sprechen. Mach dir keine Sorgen. Sie wird ihren Weg finden.«
Klara seufzte tief. »Das befürchte ich auch.«
4
Frühjahr 1886
M it geschlossenen Augen lauschte Gotthard Bülau dem Ticken der Uhr auf seinem Schreibtisch. Sie hatte seinem Vater gehört. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, ob er dieses Erbstück verdient hatte. Gustav Bülau war ein großartiger Mann von scharfem Verstand und unerschütterlichen Ansichten gewesen. Ein ausgezeichneter Arzt, der sich dem Wohl seiner Patienten und dem Ruf seiner Abteilung verschrieben hatte; ein Ehemann, der seiner Frau in jeder Lebenslage Führung und Stütze gewesen war; ein Vater, dessen Strenge er und die Geschwister zwar gefürchtet, aber respektiert hatten. Mochten Stürme und Wellen auch noch so toben, Gustav Bülau war stets ein sicherer Fels in der Brandung gewesen.
Er selbst hingegen war unstet, ein rastloser Wanderer, ein Blatt im Wind, getrieben von Interessen, Wünschen, Launen. Heidelberg, Leipzig und Hamburg waren lediglich die wichtigeren einer langen Liste von Stationen seiner beruflichen Laufbahn. Die Leitung der internistischen Abteilung im Krankenhaus St. Georg allein reichte ihm nicht. Deshalb führte er abends eine Privatpraxis. Und wenn ein medizinisches Problem auftauchte, widmete er sich nebenbei noch der Forschung. Der einzige Ruhepunkt in seinem Leben, die einzige Konstante war und blieb Klara. Die häuslichen Angelegenheiten regelte sie allein. Sie verhandelte mit Dienstmädchen und Gärtnern über Gehalt und freie Tage. Sie empfing Boten und Lieferanten, gab Bestellungen auf und organisierte ihre gesellschaftlichen Kontakte. Sie erzog die Kinder und bezahlte die Rechnungen. Sie war bewunderungswürdig. Er hingegen besaß nichts von der
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