Haus des Glücks
es still im Zimmer.
»Sie möchten tatsächlich Nonne werden?«, fragte er nach einer Weile.
»Ja. Wenigstens wollte ich das, bis Sie erneut in mein Leben platzten.« Victoria seufzte, als sie an das Gespräch mit Schwester Innozentia vor drei Tagen dachte. Sie hatte ihr zwar die wahre Geschichte erzählt und mehrmals beteuert, dass John Seymour auf dreiste Weise Lügen verbreitete, doch sie hatte der Nonne angesehen, dass sie sie nicht hinreichend überzeugt hatte. Somit war ihre Aufnahme in den Orden in fast unerreichbare Ferne gerückt. »Aber vermutlich wird sich dieser Wunsch nicht erfüllen.«
»Das tut mir leid.«
»Nun«, sie zuckte mit den Schultern. »Es ist nicht das erste Mal, dass meine Pläne durchkreuzt werden. Allmählich bekomme ich Übung darin, nach neuen Wegen zu suchen.«
»Ich hätte da einen Vorschlag«, sagte er. »Wie wäre es, wenn Sie mich heiraten würden?«
Victoria war einen Augenblick sprachlos. »Und warum um alles in der Welt sollte ich ausgerechnet
diese
Dummheit begehen?«
»Weil ich ein außergewöhnlich gutaussehender Mann im besten heiratsfähigen Alter bin, als Sohn eines Teehändlers über ein gewisses Einkommen und Vermögen verfüge, darüber hinaus nicht nur gebildet, sondern auch charmant bin und somit einer klugen und schönen Frau ein amüsantes Leben an meiner Seite bieten kann.«
»Eine beachtliche Liste. Aber Sie haben bei Ihrer Aufzählung die Dreistigkeit und einen gewissen Hang zu Eitelkeit und Prahlerei vergessen.«
»Niemand ist perfekt, oder?« Er lächelte sie so gewinnend an, dass ihr Zorn verrauchte, bevor sie es verhindern konnte.
»Dennoch glaube ich nicht, dass Ihre Argumente ausreichen, um einen Bund fürs Leben einzugehen.«
»Aber die Lage ist nicht hoffnungslos?« Er streckte die Arme in die Höhe und strahlte über das ganze Gesicht. »Halleluja, sie mag mich!«
»Das habe ich nicht gesagt!«
»Aber gedacht! Ich wusste es.«
»Sie sind nicht nur unverbesserlich, sondern ganz offensichtlich auch verrückt.«
»Verrückt? Vielleicht. Aber wenn ich Sie damit zu meiner Frau machen kann, will ich gerne ein Narr sein. Gleich das erste Mal, als sie vor mir auf dem Pflaster lagen, habe ich mir gesagt: John, die oder keine. Und ich wusste, dass ich Sie wiedersehe. Erst beim Gasthaus, als sie einfach in mich hineingelaufen sind, und jetzt hier. Wir beide, Victoria, wir gehören zusammen. Wir sind füreinander bestimmt.«
»Sie sind sich Ihrer Sache wohl sehr sicher?«
»O ja. Man spürt es, wenn Gottes Hand im Spiel ist.«
»Ich glaube, wir sollten das Gespräch jetzt besser beenden«, sagte Victoria, schlug die Decke zurück und nahm die Bettpfanne an sich. »Sie sind noch müde von der Operation und müssen sich erholen. Wenn Sie wieder bei klarem Verstand sind, werden Sie diese Worte bereuen.«
Er schüttelte den Kopf. »Mein Kopf war noch nie so klar wie gerade in diesem Augenblick«, sagte er und sah sie eindringlich an. »Ich liebe Sie, Victoria. Und wenn Sie kein überzeugendes Gegenargument vorzuweisen haben, werde ich Sie heiraten.«
Es fiel ihr schwer, dem Blick seiner braunen Augen zu widerstehen. Ihr Mund wurde trocken, und ihr Herz begann schneller zu schlagen. »Ich gehe jetzt, Herr Seymour«, sagte sie. »Schwester Alberta wartet auf mich.«
Und bevor er noch etwas sagen konnte, flüchtete sie aus dem Zimmer.
9
Sommer 1890
V ictoria ließ ihren Blick durch den Raum schweifen: Da stand das Bett mit den vertrauten Schnitzereien am Kopfende. Neben dem Fenster der zierliche, intarsienverzierte Schreibtisch, an dem sie Tagebuch oder Briefe schrieb. Die Wäschekommode mit dem kleinen Fach in der obersten Schublade links, in dem sie stets ihre Geheimnisse aufbewahrt hatte. Der Frisiertisch mit dem großen Spiegel.
Ihr
Mädchenzimmer. Hier hatte sie geschlafen, geträumt, gelesen, gelacht, geweint, vor Wut die Kissen gegen die Wand geworfen oder Pläne für die Zukunft geschmiedet. Kaum zu glauben, dass es jetzt so weit war. Die Gegenwart hatte die Zukunft eingeholt. Vergangene Nacht war ihre letzte Nacht in diesem Zimmer gewesen. Plötzlich fand sie den Gedanken schwer zu ertragen, dass sie nicht mehr in ihrem Mädchenzimmer wohnen würde. Am liebsten hätte sie Mutter und Johanna hinausgeschickt und sich eingeschlossen. Vielleicht konnte sie einfach hierbleiben – lesen, Tagebuch schreiben und von einer Zukunft träumen, die irgendwann begann. Irgendwann. Nur nicht gerade jetzt.
Mutter eilte geschäftig um sie herum, legte
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