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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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an. Seit sie verheiratet waren, öffnete sie die Tür und empfing ihn selbst, wenn er aus dem Kontor nach Hause zurückkehrte. Meist kam er gegen fünf Uhr, heute war er ein bisschen früher als sonst, weshalb sie mit den Vorbereitungen nicht rechtzeitig fertig geworden war.
    »Ihre Frau erwartet Sie auf der Veranda, Herr Seymour«, hörte sie Friederike sagen.
    Rasche Schritte auf dem Flur. Das Parkett knarzte unter seinen Schuhen. Schon sechs Monate oder erst? Trotzdem hätte sie dieses Geräusch aus den Schritten Hunderter Männer herausfinden können. Und jedes Mal klopfte ihr Herz schneller.
    »Victoria? Bist du hier?«
    John kam näher. Dann sah er sie, und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als gäbe es für ihn nichts Schöneres auf der Welt als gerade eben sie. Sie flog in seine offenen Arme und küsste ihn. Manchmal dachte sie dabei flüchtig an ihre Mutter. Sie hätte angesichts ihrer stürmischen Begrüßung und der Küsse bestimmt missbilligend den Kopf geschüttelt und gesagt:
»Kind, du benimmst dich wie ein Bierkutscher. So wird nie ein junger galanter Herr aus guter Familie um deine Hand anhalten.«
Aber sie brauchte sich keine Sorgen mehr zu machen. John war jung, er war galant, er stammte aus einer guten Familie. Und er hatte nicht nur um ihre Hand angehalten, sondern sie tatsächlich geheiratet! Wem verdankte sie nur dieses große Glück?
    »Ich habe dir etwas mitgebracht«, sagte er und reichte ihr ein Geschenk. »Herzlichen Glückwunsch zum halbjährigen Hochzeitstag.«
    Aufgeregt zog sie die Schleife auf und öffnete das Kästchen. Ein Paar bezaubernde Ohrringe kamen zum Vorschein: Ein tropfenförmiger Granat, gekrönt von einer goldgefassten, winzigen Perle, die an einem schlichten goldenen Ring hing.
    »Oh, wie wunderschön!«, hauchte sie. »Danke, John, tausend Dank! Ich möchte sie gleich anprobieren.« Sie lief zum Spiegel im Flur und begegnete auf dem Weg Friederike. »Sehen Sie nur, mein Mann hat mir Ohrringe geschenkt!«
    »Sie sind wunderschön, gnädige Frau.« Die Augen des Mädchens glänzten, als wäre das Geschenk für sie selbst und nicht für die Dame des Hauses.
    »Aber niemals schöner als die Frau, die sie fortan tragen wird«, erklärte John. Er trat hinter Victoria und küsste zärtlich ihren Nacken. »Meine Frau.«
    »Ich liebe dich, John.«
    »Ich dich auch. Danke, dass du es bereits so lange mit mir ausgehalten hast.«
    »Komm, lass uns auf die Veranda gehen«, sagte sie. »Der Tee ist fertig.«
    »Wozu brauche ich Tee, wenn ich dich habe?«, flüsterte er ihr ins Ohr, und sie musste kichern, weil sein Atem an ihrem Hals kitzelte. Dass er sie immer wieder zum Lachen brachte, war eine der Eigenschaften, die sie an John besonders liebte – neben hundert weiteren.
    »Aber ich habe doch auch eine Überraschung für dich«, sagte sie und zog ihn zur Veranda.
    »Tatsächlich. Ich rieche Earl Grey.« Genießerisch sog John die Luft ein. »Und ich rieche Scones. Du hast gebacken, Victoria? Eigenhändig? Das kann ich kaum glauben.«
    »Den Spott überhöre ich einfach!«, erklärte sie würdevoll. »Aber du brauchst keine Angst vor einer Magenverstimmung zu haben. Ich habe sie in der Konditorei backen lassen. Übrigens nach einem Rezept deiner Mutter. Clotted Cream habe ich natürlich nicht bekommen, aber ich hoffe, dass Schlagsahne auch den Zweck erfüllt. Dafür stehen Himbeer- und Erdbeermarmelade zur Auswahl.«
    »Köstlich!« John drückte sie an sich. »Dabei steht mir der Sinn gerade jetzt nach anderem.«
    »Aber John!«, Victoria musterte ihn streng. »Wir sind ein anständiges, sittsames Ehepaar. Nicht um fünf Uhr am Nachmittag!«
    »Na gut, dann trinken wir jetzt eben Tee. Aber danach entkommst du mir nicht!«
    Sie nahmen lächelnd einander gegenüber Platz, und Victoria schenkte den duftenden Tee in die hauchdünnen, schneeweißen Tassen. Das Teeservice und die silberne Kanne waren ein Hochzeitsgeschenk von Johns Tante aus London. Sooft sie es benutzte, erfreute sie sich an dem schönen Porzellan. Und sie konnte es immer noch nicht fassen, dass es ihr gehörte.
    »Was schaust du mich so an?«, fragte sie John, der seinen Blick nicht von ihr löste. »Du machst mich ganz nervös.«
    »So sollte es doch sein, nicht wahr? Dass der Mann seine Frau in Aufregung versetzt und er sich an ihr nicht sattsehen kann.«
    »Aber …« Sie musste kichern. »Schau, was du angerichtet hast. Jetzt habe ich Tee über das schöne Tischtuch gegossen.«
    »Wenn es

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