Haus des Glücks
Ihnen danken, Herr Schwiegerpapa und Frau Schwiegermama, dass Sie mir Ihre Tochter anvertrauen. Dass Sie beide durch Ihre einzigartige Herzensgüte Victoria, meine Frau, zu dem Menschen erzogen haben, der sie ist. Die englischen Verwandten und Freunde meiner Familie werden mich verstehen, vielleicht können aber auch alle anderen erahnen, was ich meine: Ich fühle mich, als hätte mir die Königin persönlich die Kronjuwelen in Obhut gegeben. Es ist eine große Ehre. Eine unvergleichliche Auszeichnung. Eine unendliche Freude. Und Gott möge mir die Kraft und die Möglichkeit geben, mich dieses Vertrauens an jedem Tag meines Lebens würdig zu erweisen.« Er nahm Victorias Hand und küsste sie zärtlich. »Meine Victoria, meine liebe Frau.« Er lächelte. »Sie sehen, ich kann es nicht oft genug aussprechen.
Meine Frau.
Ich muss mich immer wieder kneifen und mich versichern, dass dies hier kein Traum ist, dass ich hier wirklich vor Ihnen allen stehe und Victoria neben mir sitzt. Meine Braut. Meine Frau. Victoria, ich liebe dich. Und ich danke meinem Schöpfer auf Knien, dass er meine Schritte so gelenkt hat, dass ich dir begegnen durfte. Dass du meinen Antrag angenommen hast. Und dafür, dass du mir heute vor dem Altar dein Jawort gegeben hast. Dass du den Mut hast, dich auf das Wagnis eines Lebens mit mir einzulassen. Wo ich dir nichts zu bieten habe, außer meiner aufrichtigen Liebe.«
Er neigte sich zu ihr hinunter und küsste sie auf den Mund. Die Gäste klatschten Beifall. Vielerorts wurden Taschentücher gezückt und Tränen getrocknet, Meredith Seymour und Klara Bülau schluchzten laut. John nickte Victorias Vater zu.
»Meine sehr verehrten Gäste«, sagte dieser und räusperte sich. Auch seine Augen schimmerten vor Rührung feucht. »Genug der Reden. Lassen Sie es sich schmecken, das Buffet ist eröffnet.«
Erneut wurde geklatscht. Der Geiger hob seine Violine ans Kinn, nickte den anderen Musikern zu und begann mit einer leichten Weise von Mendelssohn Bartholdy. Die Kellner schenkten Wein und Sekt in die Kristallgläser, die Dienstmädchen servierten die Vorsuppe.
Victoria ließ ihren Blick über die Festgesellschaft schweifen – die über die dampfenden Suppentassen gebeugten Köpfe mit den kunstvollen Frisuren, die schönen Kleider und Anzüge. Das war ihre Hochzeit! Sie konnte es kaum fassen. Sie griff nach Johns Hand. Er lächelte sie zärtlich an. Nur wenige Stunden war es her, als sie am liebsten davongelaufen wäre. Jetzt hätte sie platzen können vor Glück.
10
Winter 1890/1891
V ictoria deckte den Teetisch auf der kleinen Veranda, von der aus sie einen zauberhaften Blick über die Alster hatten. Sie hatte eigenhändig Earl Grey aufgebrüht, Johns Lieblingstee. Friederike, ein noch junges Mädchen, das ihnen von einem befreundeten Teppichhändler empfohlen worden war, war eine Perle und im Haushalt unentbehrlich. Aber Tee konnte sie nicht zubereiten. Sie ließ das Wasser nicht stark genug kochen, vergaß, die Kanne vorzuwärmen, oder sie nahm zu wenig Tee. Dabei war John der Fünf-Uhr-Tee wichtig; eine der englischen Traditionen, die auch in seinem Elternhaus weiter gepflegt wurden, obgleich die Familie mittlerweile seit über dreißig Jahren in Hamburg lebte. Meistens war der Tee eine zwanglose Angelegenheit: John und Victoria saßen im Salon, benutzten das gewöhnliche Geschirr und aßen etwas Gebäck oder belegte Brote zu indischem Tee. Doch heute hatte sie sich besondere Mühe gegeben. Der Tisch war mit dem besten Porzellan und dem silbernen Kerzenleuchter gedeckt, und sie hatte in der Konditorei die kleinen englischen Teebrötchen bestellt, die John so gern aß. Sie waren auf den Tag genau sechs Monate verheiratet, und noch nicht einen Tag, nicht einmal eine Stunde, hatte sie diese Entscheidung bereut. Ein Grund zum Feiern.
Es läutete an der Tür.
»Das wird mein Mann sein. Öffnen Sie bitte, Friederike.«
Während das Mädchen zur Tür eilte, zupfte Victoria die Tischdecke zurecht. Sie kannte sich selbst kaum: Es machte ihr geradezu Spaß, ihre Wohnung gemütlich zu gestalten, in dem sicheren Wissen, dass John sich darüber freute. Rasch legte sie das kleine, in Seidenpapier gewickelte Päckchen auf seinen Kuchenteller. Es war der neuste Band seines englischen Lieblingsschriftstellers, eine Aufmerksamkeit zum halbjährigen Hochzeitstag.
»Friederike?« Johns überraschte Stimme drang aus dem Flur zu ihr. »Wo ist meine Frau?«
Victoria lächelte und zündete die Kerze im Leuchter
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