Haus des Glücks
unsere Frachter in einen Sturm geraten und gesunken sind.«
»O mein Gott!« Victoria war zu entsetzt, um sich zu rühren. »Und die Besatzung?«
»Alle tot, bis auf zwei Mann«, antwortete er und biss sich auf die Lippe. »Nur der Smutje der
Helene Claasen
und der Steuermann der
Jungfrau Marta
konnten sich retten. Sie wurden von einem Handelsschiff aus dem Meer gezogen und nach Indien gebracht. Dort haben sie auch das Kontor über den Verlust benachrichtigt.« Das Telegramm zitterte in seiner Hand. »Siebenundneunzig Männer sind ertrunken.«
»Aber John!« Victoria kniete sich vor ihm auf den Boden und nahm seine Hand. »John, es ist doch nicht deine Schuld!«
»Aber es waren meine Schiffe«, stieß er hervor. Seine Augen waren rot gerändert.
»Sie waren in einem hervorragenden Zustand. Du hast sie doch im Dock überholen und neu takeln lassen. Ich habe sie gesehen, als sie ausliefen.«
»Aber es war meine Idee, schon jetzt loszufahren, statt noch einen Monat zu warten, noch dazu mit allen drei Viermastern!« Er sprang auf und trat an das Fenster der Veranda. »Mein Vater hat mich vor den unberechenbaren Stürmen um diese Jahreszeit gewarnt. Er sagte, ich solle lieber im Hafen bleiben oder wenigstens nur eines der Schiffe auf die Reise schicken. Aber ich wollte nicht auf ihn hören. Ich hielt mich für klüger. Ich hatte den Ehrgeiz, der Erste in diesem Jahr mit einer Teelieferung in Hamburg zu sein. Ich wollte die Preise diktieren, viel Geld verdienen. Und jetzt sind fast hundert Männer tot!
Meine
Leichtfertigkeit und
meine
Gier haben sie das Leben gekostet. Manche von ihnen hatten Frauen, Kinder. Wie soll ich diesen Menschen gegenübertreten?«
Victoria schmiegte sich an seinen Rücken. Gern hätte sie etwas gesagt, ihn getröstet, die Last seiner Schuld gemindert. Aber ihr wollte nichts einfallen. »Du hast den Sturm nicht heraufbeschworen«, sagte sie schließlich leise. »Aber du solltest die Familien entschädigen. Eine Rente oder eine Stiftung …«
Im Glas der Veranda konnte sie sehen, wie er die Augen schloss. Der Ausdruck seines Gesichts schnitt ihr ins Herz.
»Und wovon?«, fragte er mit seltsam tonloser Stimme. »Wovon soll ich das bezahlen?«
»Von dem Gewinn aus der Ladung …« Victoria brach ab. Erst jetzt erfasste sie das ganze Ausmaß der Katastrophe.
»Sprichst du von dem Tee, der mit der
Helene Claasen,
der
Jungfrau Marta
und der
Margarethe Hansen
auf den Meeresboden gesunken ist?« Er seufzte tief. »Mein ganzes Vermögen,
unser
ganzes Vermögen steckte in diesen drei Schiffen. Ich habe mir Geld leihen müssen, um die neue Takelage und einen Teil der Fracht bezahlen zu können.«
»Aber glaubst du nicht, dass dein Vater …«
»Vater hat es abgelehnt, mir Geld zu geben. Er wollte diesen
Irrsinn,
wie er es nannte, nicht finanzieren. Also habe ich andere Investoren gesucht, und sie in London gefunden. Anspruchsvolle Geldgeber. In meiner Überheblichkeit habe ihnen das Blaue vom Himmel und sogar doppelten Zins versprochen. Und jetzt habe ich nichts mehr, womit ich die Schulden begleichen könnte.«
»John, wenn du den Gläubigern die Lage erklärst, werden sie es gewiss verstehen«, sagte Victoria.
Doch John schüttelte den Kopf. »Du kennst diese Männer nicht. Es sind Bankiers, eingefleischte Geschäftsleute aus gehobenen Kreisen. Denen ist es egal, weshalb ich nicht zahlen kann. Die wollen nur ihr Geld sehen.«
»Wenn es so ist, verkaufen wir eben die Wohnung, die Möbel, das Porzellan, die Bilder und meinen Schmuck. Diese Dinge sind zwar schön, aber unser Leben hängt nicht daran. Wir werden auch in einer kleineren, billigeren Unterkunft glücklich werden.«
»Das würde kaum reichen.«
»Nicht?« Victoria schluckte. »Wie viel hast du dir denn geliehen?«
»Zweitausendfünfhundert Pfund Sterling.«
»Wie viel ist das in Goldmark?«
»Etwa fünfzigtausend.« Er wandte sich zu ihr um und strich ihr zärtlich über das Gesicht. »Meine geliebte Frau. Du glaubtest dich in guten Händen. Stattdessen hast du einen Schuft, einen Spieler geheiratet, einen Taugenichts, der leichtsinnig das Leben von knapp hundert Männern riskiert und dich an den Bettelstab bringt.«
»Es lässt sich bestimmt eine Lösung finden, John«, versuchte sie ihn zu trösten. »Wir werden die Summe aufbringen.«
Er schüttelte langsam den Kopf. »Es gibt Schulden, die lassen sich nicht tilgen. Wenigstens nicht auf diese Weise.«
Victorias Hände wurden eiskalt. »Was hast du vor?«, fragte sie
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