Haus des Glücks
Aber machen Sie sich heute keine Umstände. Wer weiß, wie lange die beiden miteinander sprechen. Es ist völlig ausreichend, wenn Sie ein kaltes Abendessen vorbereiten und im Esszimmer bereitstellen. Danach können Sie sich zurückziehen. Und lassen Sie sich von Karl ein Gläschen Likör einschenken. Zur Beruhigung der Nerven.«
»Danke, gnädige Frau.« Friederike knickste und verließ den Salon.
Was für ein Tag, ihr halbjähriger Hochzeitstag! Dabei war es nicht einmal halb acht. Wer konnte schon ahnen, was noch alles an diesem Tag geschah? Dieses Wechselbad der Gefühle würde sie gewiss nicht so rasch vergessen. Plötzlich fühlte sie sich müde, ausgelaugt und erschöpft. Sie stellte die Tasse auf dem Beistelltisch ab und legte ihren Kopf auf die Sofalehne. Eine Weile versuchte sie noch, ihre Augen offen zu halten und den Stimmen zu lauschen, die gedämpft durch die geschlossene Tür des Herrenzimmers drangen, doch kurz darauf war sie eingeschlafen.
Victoria suchte nach John. Männer mit angsteinflößenden Masken und schwarzen Kutten hielten ihn in einer riesigen, baufälligen Burg gefangen und drohten, ihn zu töten. Sie war die Einzige, die davon wusste, die Einzige, die ihn befreien konnte. Sie irrte die endlos langen Flure entlang und öffnete Hunderte, vielleicht Tausende von Türen. Doch nirgendwo war John. Keine Spur von ihm. Die Zeit verrann, um Mitternacht sollte das Urteil vollstreckt werden, doch sie wagte nicht, nach ihm zu rufen. Die maskierten Männer durften nichts von ihrer Anwesenheit wissen. Da! War da vorne nicht gerade eine Tür ins Schloss gefallen? Vielleicht war dort der Raum, in dem John gefangen gehalten wurde. Sie hastete vorwärts, lief, so schnell sie konnte, und kam doch kaum von der Stelle. Schließlich hatte sie die Tür erreicht, ihre Hand lag schon auf der Klinke, gleich würde sie John sehen, doch im selben Augenblick schlug die Turmglocke zwölfmal. Es war zu spät.
Mit einem Ruck wachte Victoria auf. Die Zeiger der Uhr standen auf zwölf, es war Mitternacht. Sie lag immer noch auf dem Sofa, eine fürsorgliche Hand hatte ihr eine wollene Decke über die Beine gelegt. Das Feuer im Kamin war heruntergebrannt. Stimmen drangen zu ihr, lauter diesmal, und ihr wurde bewusst, dass die Tür des Herrenzimmers offen stand. Sie setzte sich auf.
»Entschuldige, Victoria, wir hatten nicht die Absicht, dich zu wecken«, sagte Andrew Seymour, der sich gerade seinen Mantel überwarf und seine Handschuhe anzog.
»Ich wollte eigentlich nicht einschlafen«, erwiderte sie. »Möchten Sie nicht noch mit uns essen?«
»Ich muss die Einladung leider ablehnen.« Er schüttelte den Kopf. »Ich muss jetzt auf dem schnellsten Weg nach Hause. Es ist spät. Und Meredith ist gewiss schon halb verrückt vor Sorge.« Er wandte sich an seinen Sohn. »Also, Junge, du weißt Bescheid. Und ich bitte dich inständig, uns nie wieder in solche Angst zu versetzen. Versprichst du mir das?«
»Ja«, sagte John, und es klang aufrichtig. Überhaupt wirkte er viel zuversichtlicher als vor wenigen Stunden. »Danke, Vater. Ich begleite Sie noch zur Tür.«
»Gute Nacht, Victoria.«
»Gute Nacht, Herr Schwiegervater.«
Die beiden Männer verließen das Zimmer, und sie erhob sich. Sie war steif von der verkrampften Lage auf dem Sofa und faltete die Decke zusammen.
»Hast du Hunger?«, fragte sie ihren Mann, als er allein zurückkehrte.
Er schüttelte den Kopf und ließ sich auf das Sofa sinken.
»Was habt ihr besprochen?«
»Mein Vater wird sich an die Geldgeber wenden und persönlich um Aufschub der Zahlungen und Erlassung des erhöhten Zinssatzes bitten. Dann wird er mir, als Vorauszahlung meines Erbteiles, ein Schiff ausrüsten. Ich kann sozusagen noch einmal von vorn anfangen. Einzige Bedingung ist, dass wir die Wohnung verkaufen und ich beweise, dass ich bereit bin, ein bescheidenes Leben zu führen.« Er streichelte mit dem Handrücken über ihre Wange. »Aber die Ohrringe, die ich dir heute geschenkt habe, darfst du behalten.«
»O John, als ob mir das so wichtig wäre!« Sie schmiegte sich an ihn. »Es war so furchtbar! Ich habe befürchtet, dich zu verlieren. Aber jetzt wird alles gut.«
»Ja, jetzt wird alles gut«, wiederholte er und küsste ihr Haar. »Vorausgesetzt, die Herren aus London lassen mit sich handeln.«
»Hast du Zweifel?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Diese Herren stehen nicht gerade in dem Ruf, mildtätige Menschenfreunde zu sein. Allerdings hat mein Vater
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