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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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als Teehändler nicht nur hier, sondern auch in London einen guten Leumund. Vielleicht kann er sie überzeugen. So hoffe ich wenigstens.«
    »Und wenn es ihm nicht gelingt?«
    John seufzte. »Dann sollte ich mich besser irgendwo im Dschungel am anderen Ende der Welt verstecken.«
    »Aber nicht ohne mich.«
    »Natürlich nicht ohne dich«, sagte er und lächelte sie zärtlich an. »Ohne dich würde ich nirgendwohin gehen.«
     
    Hamburg, 16 . März 1891
     
    Drei Wochen sind seit dem verhängnisvollen Telegramm vergangen. John hat sich scheinbar gefangen, den Abend erwähnen wir nicht. Ich bin jetzt oft allein. Er arbeitet viel. Früh am Morgen verläßt er das Haus und kommt erst spät wieder. Selbst dann bekomme ich ihn kaum zu Gesicht. Meistens schlingt er hastig etwas von dem aufgewärmten Abendessen hinunter und zieht sich gleich danach ins Herrenzimmer zurück, um sich mit den Papieren zu beschäftigen, die er aus dem Kontor mitgebracht hat. Aber ich bin ihm nicht böse. Wie könnte ich auch? Ich weiß, daß es seine Art ist, zu beweisen, daß er alles tut, um seine Schuld abzutragen. Trotzdem mache ich mir Sorgen. Er sieht blaß und schmal aus, und in der Nacht steht er auf und wandert in der Wohnung umher. Er spricht nicht darüber, weder mit mir noch mit seinen Eltern. Aber ich bin sicher, daß ihn der Gedanke quält, die Verantwortung am Tod von 97  Menschen zu tragen. John trifft keine Schuld. Es war ein schreckliches Unglück, wie es immer wieder auf den Meeren geschieht. Nicht einmal die Hinterbliebenen der Seeleute erheben Vorwürfe gegen ihn. Doch John kann sich nicht verzeihen. Sein Gewissen läßt es nicht zu. Und gerade wegen dieser Rechtschaffenheit liebe ich ihn noch mehr als zuvor.
    Ich versuche, ihm zu helfen. Ich höre ihm zu, stelle Fragen, massiere ihn, wenn er abends über den Geschäftsbüchern sitzt, ich habe ihm die Wohnungssuche abgenommen. Ich gebe mir Mühe, unser Heim behaglich zu gestalten, ohne zusätzlich Geld auszugeben, und werde darin immer geschickter und erfindungsreicher.
    Mittlerweile steht fest, daß wir in wenigen Wochen in die neue Wohnung umziehen werden. Sie liegt im Hafen, gleich neben dem Kontor. Sie ist deutlich kleiner als diese hier – in Zukunft werden wir im Salon essen müssen – aber natürlich auch viel billiger. Ich werde damit leben können. Aber der Blick von der Veranda über die Alster wird mir fehlen. Wenigstens kann ich meine Tage füllen, indem ich unsere Habe in Kisten verpacke und alles aussortiere und verkaufe, was wir fortan nicht mehr brauchen werden. Ich habe bereits einen Teil der Tisch- und Bettwäsche, Gläser, Porzellan und Besteck verkauft. Morgen nehme ich mir die Bücher im Herrenzimmer vor. Auch wenn es im Vergleich zu der geschuldeten Summe kaum mehr ist als ein Tropfen auf den heißen Stein, so sehe ich es als meinen Beitrag an, bei der Tilgung mitzuhelfen.

11
    Sommer 1891
    V ictoria stand auf der Leiter und räumte das oberste Regal leer. Die zwei Kisten auf dem Boden, die am Morgen noch leer gewesen waren, füllten sich allmählich.
    Sie nahm drei große Lederfolianten und wollte mit ihnen hinuntersteigen, als ihr schwindelig wurde. Beinahe wäre sie hinuntergefallen, doch sie konnte sich noch rechtzeitig festhalten. Sie wartete einen Moment ab, bis der Anfall vorüber war, und stieg dann vorsichtig die Leiter hinunter. Ihr war bereits am Morgen nach dem Aufstehen unwohl gewesen, und deshalb hatte sie kaum gefrühstückt. Eigentlich hätte sie gern länger geschlafen, um sich auszukurieren, aber sie wollte John beim Frühstück nicht allein lassen, wo sie ihn doch in letzter Zeit ohnehin kaum zu Gesicht bekam. Dazu kam das ständige Auf und Ab auf der Leiter mit den schweren Büchern im Arm. Jetzt rächte sich diese Nachlässigkeit.
    Ich brauche eine Pause,
dachte sie.
Nur noch dieses eine Fach, danach ist Schluss für heute.
    Sie betrachtete die Buchrücken der beiden Bände in ihrer Hand. Es handelte sich um einen Band über die afrikanische Fauna sowie Alexander von Humboldts zweibändiges Werk
Reise in die Äquinoktal-Gegenden des Neuen Kontinents.
Das Buch über die Tiere wanderte in die Kiste, die für den Buchhändler bestimmt war. Aber die Reisebeschreibungen wollte sie nicht hergeben. Es waren die ersten Bücher, die sie heimlich in Vaters Bibliothek gelesen hatte, und auch John liebte sie. Oft hatten sie auf dem Sofa vor dem Kamin gesessen und einander daraus vorgelesen. Das Sofa würden sie ebenfalls verkaufen. In der

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