Haus des Glücks
in Kenntnis zu setzen. Das Schriftstück, das wir Ihnen überlassen haben, können Sie vernichten.«
Erleichtert schloss Gotthard die Augen.
»Ich danke Ihnen für Ihre Mühe«, sagte er und drückte dem Anwalt herzlich die Hand.
»Nein, wir sind Ihnen zu Dank verpflichtet. Durch Ihre Mithilfe haben Sie weitere unnötige und unter Umständen nie wiedergutzumachende Schritte verhindert. Jetzt können wir es Ihnen sagen: Unser Klient hatte vor, ein Kopfgeld auf John Seymour auszusetzen.«
»So etwas in der Art hatte ich befürchtet.«
»Herr Doktor, wir verabschieden uns. Wir reisen heute noch ab. Unsere Anwesenheit hier ist nicht länger erforderlich, und das ist allein Ihnen zu verdanken.« Strange drückte ihm die Hand. »Richten Sie bitte auch Mr. und Mrs. Seymour unsere Grüße aus.«
»Das werde ich tun«, sagte Gotthard.
Er begleitete die beiden Engländer zur Tür und sah ihnen nach, bis sie das Haus verlassen hatten. Dann kehrte er zum Schreibtisch zurück, holte den Vertrag aus der Schublade heraus. Während er ihn in kleine Fetzen zerriss, fragte er sich, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Meist konnte er sich auf seine Menschenkenntnis verlassen. Aber auch in diesem Fall? Waren die Anwälte ehrlich zu ihm gewesen, oder hatten sie nur seine Gutgläubigkeit ausgenutzt?
Die Zukunft wird es zeigen, dachte er, erhob sich und öffnete die Tür zum Vorzimmer, wo Schwester Gudrun die Bestände im Arzneischrank kontrollierte.
»Schicken Sie mir bitte Frau Jansen herein.«
In der Kabine war es dunkel, lediglich durch die Türritzen fiel ein schwacher Lichtschein nach innen. Victoria lag in ihrer Koje. Es war eine Innenkabine, schlecht belüftet und so eng, dass, abgesehen von den übereinanderliegenden Betten, kein Platz für weitere Möbelstücke mehr war. Die Reisetaschen mit der Wechselwäsche hatten sie unter den Betten verstaut, der Rest ihrer Habseligkeiten befand sich in Kisten verpackt im Lagerraum der
Blue Horizon.
Wenigstens hatte ihre Kabine den Vorteil, dass sie sie nicht mit vier oder sechs Passagieren teilen mussten. Der Gedanke, über Wochen hinweg mit wildfremden Menschen auf so engem Raum eingepfercht und Zeuge eines jeden intimen Geräusches zu sein, war unakzeptabel. Deshalb hatten sie für ihre Passage in der Zweierkabine auch etwas mehr bezahlt. Trotzdem war ihre »Seekiste« immer noch viel billiger als eine der drei komfortablen Außenkabinen mit Blick auf das Meer.
Anfangs hatte Victoria die mangelnde Aussicht vermisst. Mittlerweile war sie froh, dass ihr hier unten im Bauch des Schiffes der Anblick des sie von allen Seiten umgebenden Wassers erspart blieb. Heute hatte sie John sogar darum gebeten, die Lampe zu löschen, bevor er zum Abendessen ging. Die Öllampe rußte stark und hinterließ einen Gestank nach verbranntem Öl, der sich nur schwer aus dem kleinen Raum vertreiben ließ und den sie zurzeit schier unerträglich fand. Zudem konnte sie im Dunkeln nicht sehen, wie die Gegenstände sich beim Schlingern des Schiffes hin und her bewegten.
Doch die Dunkelheit reichte offenbar nicht. Sie hörte, wie die Reisetaschen von einer Seite zur anderen glitten –
rrrrisch,
hin,
rrrasch,
zurück. Es war zum Verrücktwerden. Ihr war so übel! Schon seit einigen Tagen konnte sie kaum etwas essen. Allein beim Geruch und Anblick der Speisen, die ihnen vorgesetzt wurden, verspürte sie das Bedürfnis, sich zu übergeben. Dabei hatte es an der Küche bisher nichts auszusetzen gegeben. Die Mahlzeiten waren hervorragend, und erst vor kurzem hatten sie in Indien frische Lebensmittel eingelagert. Auch am Wetter konnte es nicht liegen – das Meer lag so ruhig und glatt da, dass sich der Kapitän allmählich Sorgen wegen einer bevorstehenden Flaute machte. Außerdem war sie noch nie zuvor seekrank geworden.
In Ermangelung anderer Gründe schob Victoria ihr Unwohlsein auf das Telegramm aus London, das sie im Hafen von Kalkutta erreicht hatte. Der Inhalt war eindeutiger Natur: Johns Gläubiger verzichtete darauf, ihn weiter zu verfolgen, wenn er nie wieder englischen Boden betrat. Für die Reise nach Samoa wollte man ihnen eine Ausnahme zugestehen, doch sollte er danach jemals wagen, gegen diese Auflage zu verstoßen, würden ihn die ganze Härte des Gesetzes sowie die Rache des Kreditgebers treffen. Obwohl Victoria sich bereits seit Tagen auf Indien gefreut hatte, hatten sie vorsichtshalber darauf verzichtet, in Kalkutta an Land zu gehen. Das Ultimatum galt zwar noch nicht,
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