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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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aber sie wollten es nicht riskieren, ihren vergleichsweise gnädig gestimmten Gläubiger zu provozieren. Während die anderen Passagiere der
Blue Horizon
über die Märkte schlenderten und sich an den feinen Seidenstoffen und edlen Gewürzen erfreuten, waren sie und John an Bord geblieben. Die prächtigen Tempel und die bunt geschmückten Elefanten, die durch die engen Gassen der Stadt zogen und von denen am nächsten Tag die anderen berichtet hatten, hatte Victoria nur von weitem gesehen.
    Sie drehte sich in ihrer Koje auf die Seite und schloss die Augen. In dieser Position war die Übelkeit leichter zu ertragen – wenigstens für eine Weile. Ihre Gedanken kehrten zu dem Telegramm zurück. Diese Forderung könnte beinahe erheiternd sein. Ägypten, Indien, Australien, Südamerika – die halbe Welt war in der Hand der Briten, selbst die
Blue Horizon
segelte unter britischer Flagge. Es war nahezu unmöglich, irgendwohin zu reisen, ohne dabei britischen Boden zu betreten. Sie würden auf Samoa regelrecht eingesperrt sein, ein palmengesäumtes Gefängnis am anderen Ende der Welt. Noch war die Insel formal ein unabhängiges Königreich mit deutscher Verwaltung. Aber der Kampf um die Vorherrschaft in der Südsee war noch nicht endgültig entschieden. Was, wenn es der britischen Krone gelänge, ihren Machtbereich auch auf Samoa auszudehnen? Dann bliebe ihnen nichts anderes übrig, als die Amerikaner um Asyl zu bitten oder sich im Pazifik eine einsame, namen- und herrenlose Insel zu suchen.
    Über ihr scharrten die Stühle. Das Essen war offenbar beendet. Gleich würde John zurückkehren, und sie hatte noch kein bisschen geschlafen. Dabei war sie so müde!
    Die Tür öffnete sich leise, und er kam auf Zehenspitzen mit einem Tablett herein. Er stellte es auf dem Boden ab und setzte sich an das Fußende.
    »Ich schlafe nicht«, sagte sie und drehte sich langsam auf den Rücken. Jede schnelle Bewegung steigerte ihre Übelkeit.
    »Ich wollte dich nicht wecken, Liebling.« In seiner Kleidung hing der Duft von Pfeffer, Zimt und vielen anderen Gewürzen, welche die Inder, und seit neuestem auch der Schiffskoch, in geradezu verschwenderischer Weise verwendeten.
    Victoria fuhr auf und schaffte es gerade noch, sich in den Eimer zu erbrechen, der neben ihrer Koje stand. Danach ging es ihr deutlich besser, und erleichtert ließ sie sich auf ihr Kissen zurücksinken. Aber sie machte sich keine großen Hoffnungen. Sie kannte das schon. Es würde nicht lange dauern, und ihr wäre ebenso übel wie zuvor.
    »Mein armer Schatz«, sagte John und strich ihr zärtlich das Haar aus der schweißnassen Stirn. »Ich habe dir etwas zu essen mitgebracht.«
    »Ich habe keinen Hunger!«, stöhnte sie.
    »Aber du musst ein wenig zu dir nehmen, du bist schon ganz mager«, beharrte er. »Der Koch hat mir eine Tasse schwarzen Tee und Brot mitgegeben. Vielleicht hilft dir das. Der Schiffsarzt sagte, wenn du nicht heute endlich etwas isst, wird er dich untersuchen müssen.«
    Victoria seufzte. Nein, das musste nun wirklich nicht sein. Der Schiffsarzt war ein unangenehmer Mann mittleren Alters. Die schmierigen dunklen Haare, der geölte Schnurrbart und die eng beieinanderstehenden Augen erinnerten sie an einen kalten, glitschigen Aal. Nein, von diesem Mann wollte sie sich nicht untersuchen lassen, wenigstens nicht, solange sie noch genug Kraft hatte, um sich zu wehren. Schließlich hatte auch sie medizinisches Wissen. Natürlich nicht im selben Maß wie jemand, der dieses Fach studiert hatte. Aber sie besaß neben ihrer Erfahrung im Marienkrankenhaus und den Jahren der Lektüre in der Bibliothek ihres Vaters auch das Buch »Gesundheit im Hause«, das von einer Ärztin geschrieben worden war. Unter Umständen konnte sie sich selbst helfen.
    »Versteh doch, dass ich mir Sorgen um dich mache.«
    Sie setzte sich auf und John reichte ihr die Tasse mit dem kräftig duftenden Tee. Vorsichtig nippte sie an der heißen Flüssigkeit und spürte sogleich die wohltuende Wirkung.
    »Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist«, sagte sie nach einigen Schlucken. »Ich glaube, ich bin seekrank.«
    »Jetzt?« John runzelte die Stirn. »Du warst die ganze Reise über nicht krank, und wir hatten schon schlechtere Wetterbedingungen.«
    »Vielleicht habe ich mir den Magen verdorben.«
    »Wenn wir in Kalkutta an Land gegangen wären und dort etwas von den Einheimischen gegessen hätten, könnte ich das verstehen. Aber wir sind an Bord geblieben. Du hast die gleichen Speisen zu

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