Haus des Todes
passiert.«
»Er hat mich gefragt, für was für ein Monster ich ihn halte«, sage ich und sehe ihn vor mir, wie er sich über mich beugt, nachdem er mir einen Tritt in den Magen verpasst hat. Caleb Cole, mit seinem narbigen Gesicht und mit geballten Fäusten. »Ich glaube nicht, dass er es fertigbringt, ein Kind zu töten, aber offensichtlich will er Stanton vom Gegenteil überzeugen.«
»Na ja, aber er ist trotzdem ein Monster, und er hat immer noch die beiden jüngeren Mädchen. Was Melanie betrifft, er hat sie da draußen mit einer Tüte Essen, etwas zu trinken und mehreren Decken zurückgelassen. Sie hätte dort einige Tage überleben können, solange sie nicht losmarschiert wäre, um Hilfe zu holen, und in den Wäldern umgekommen wäre. Es hätte ihr alles Mögliche zustoßen können.«
»Vielleicht wollte er ihren Aufenthaltsort telefonisch durchgeben.«
»Vielleicht. Wir werden ihn fragen, wenn wir ihn geschnappt haben«, sagt Schroder.
Am anderen Ende des Gangs öffnen sich die Aufzugtüren, und Barlow tritt in den Flur. Offensichtlich ist heute Halbglatzen-Dienstag, denn er hat dieselbe Frisur wie mein Arzt und wirkt genauso müde wie er. Barlow
schaut nach rechts, dann nach links, ohne uns jedoch zu bemerken.
»Er hat mich über den Zaun gezerrt«, sage ich zu Schroder.
»Was?«
»Der Hund. Er hat sich in mein Bein verbissen und mich nach unten gezerrt. Ich sag dir, dieses blöde Viech wollte mich in Stücke reißen, und die Mistkerle aus diesem Haus haben dabei zugesehen. Cole hat meine Hand gepackt und mich weggezogen. Er hat mir den Arsch gerettet.«
Schroder starrt mich mit frostigem Blick an. »Sag mal, Tate, gibt’s da ein Problem?«
»Was? Was für ein Problem?«
»Mit dir und Cole. Besteht etwa die Gefahr, dass du ihm Sympathie entgegenbringst?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Bist du sicher? Ich weiß, dass ihr Ähnliches erleiden musstet, als ihr eure Töchter verloren habt, und ich weiß auch, dass ein Teil von dir für Cole Verständnis hat, wenn er diejenigen tötet, die seiner Meinung nach dafür verantwortlich sind. Aber er ist böse und tut unschuldigen Menschen weh.«
Ich werfe die Hände in die Luft. »Mein Gott, Carl, das ist mir doch klar!«
Er starrt mich weiter frostig an. »Bist du sicher?«
»Ja«, sage ich.
»Gut«, sagt er und nickt langsam, um mir zu zeigen, dass er mir glaubt. »Ich musste nur sichergehen, denn es wäre echt scheiße, Tate, wenn du auf seiner Seite wärst.«
Er wartet einen Moment, damit es auch richtig ankommt, dann fährt er fort. »Die Beweisstücke und Prozessakten zu beiden Whitby-Fällen sind eingetroffen«, sagt er, »von damals, als er die zwei Mädchen angegriffen hat.« Inzwischen hat Barlow uns entdeckt. Sein Gesicht hellt sich auf, und er sagt oder formt mit den Lippen ein Ah , das an niemand Bestimmtes gerichtet ist, dann kommt er in unsere Richtung. »Sie sind im Konferenzraum«, sagt Schroder zu mir. »Ich bin noch nicht dazu gekommen, sie mir anzusehen. Übrigens, wir haben da noch ein Problem.«
»Haben wir?«
»Wohl eher du. Was zum Henker war mit dir los?«
»Was meinst du?«
»Ich habe eine Aufzeichnung deines Hilferufs gehört. Es klang, als hätte man dir einen Tennisball in den Mund gestopft.«
»Caleb hat mir ordentlich eins verpasst.«
»Offensichtlich. Bist du sicher, dass du in Ordnung bist? Du wirkst etwas wacklig auf den Beinen.«
»Mir geht’s gut.«
»Okay. Also, wenn ich dir das nächste Mal sage, dass du nicht allein gehen sollst, wie wär’s, wenn du dann auf mich hörst?«
In diesem Moment tritt Barlow zu uns. Wir begrüßen uns und reichen einander die Hände. Er trägt einen Rollkragenpulli und karierte Hosen. Er sieht genau so aus, wie man sich einen Psychiater vorstellt, der auf dem Weg zum Golfplatz ist.
»Ich habe Whitbys Patientenakten gelesen«, sagt er
und setzt eine todernste Miene auf, während sich seine Stimme um eine Oktave senkt, »und ich kann Ihnen versichern, dass ich so einen Mann nicht aus meiner Obhut entlassen hätte. Er war eine tickende Zeitbombe«, schätzt er die Situation treffend ein, wie man es im Nachhinein immer so schön kann, und bestätigt damit meine Überzeugung, dass die Psychologie eine Wissenschaft ist, die sich aus einer Abfolge zahlloser Irrtümer entwickelt hat. »Sagen Sie mir, in welchem Zustand wurde Melanie Stanton aufgefunden?«
Schroder erzählt es ihm. Melanie war in eine Decke gehüllt und ihre Kleidung mit Kunstblut beschmiert. Sie war betäubt.
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