Haus des Todes
könnte.«
»Er ist uns durch die Lappen gegangen«, sagt Schroder. »Wir haben’s vergeigt.«
Ich weiß. Ich starre aus dem Fenster auf denselben Punkt, den er zuvor fixiert hat.
»Aber wir haben dem Richter das Leben gerettet«, sagt er, und er hat recht. Wir haben einem gesichtslosen Richter, den ich nicht kenne und Schroder vielleicht auch nicht, das Leben gerettet. Wir haben ihn davor bewahrt, vor den Augen seiner Familie getötet zu werden. Das scheint keine große Sache zu sein. Doch eigentlich ist es das – momentan gelten unsere Gefühle allerdings den kleinen Mädchen. Auf sie konzentrieren wir uns jetzt. Sie sind die eigentlichen Unschuldigen in diesem Fall. Natürlich sind hier alle Opfer unschuldig – aber die anderen
haben sich nicht gerade geschickt angestellt. Die Mädchen hingegen – sie sollten nicht darin verwickelt sein. Es fällt also schwer, sich über den Erfolg mit dem Richter zu freuen, wenn man ständig daran denken muss, dass wir Cole heute zweimal hätten schnappen können und es dennoch nicht geschafft haben.
»Wir sollten das als Sieg betrachten, als Häkchen für die Guten«, sagt Schroder, aber er irrt sich – wir sollten es nicht als Sieg sehen, sondern lediglich als Punktgewinn.
Von den Akten erwarten wir uns Antworten. Und auch von Melanie. In der ganzen Stadt fahnden Polizisten nach Ariel Chancellor und nach Dr. Stantons Wagen. Sie suchen sämtliche Personen von einer Liste auf, die Schroder und ein paar andere Detectives vorhin erstellt haben, mit Namen von Leuten, die damals mit den Fällen zu tun hatten. Ich muss immer noch an die Pizza denken, die Cole bestellt hat, und frage mich, was wohl aus ihr geworden ist. Ich fange an, mich in die Sache hineinzusteigern. Aber noch entscheidender ist: mein Magen ebenfalls. Meine Auseinandersetzung mit Caleb Cole hat in mir zwar den Wunsch geweckt, mehr auf meine Ernährung zu achten und wieder Sport zu treiben, aber sowohl mein Magen als auch mein Gehirn sind sich einig, dass das bis morgen warten kann.
»Was glaubst du, wie lange braucht Barlow?«, frage ich und deute mit dem Kopf Richtung Büro, während ich überlege, ob noch Zeit bleibt, um etwas zu essen zu bestellen.
Schroder zuckt die Achseln. »Wenn ich das wüsste.
Mann, wir haben einen Namen, wir wissen, was er will, aber wenn wir das hier alles durcharbeiten«, sagt er mit Blick auf den Tisch voller Beweisstücke, »habe ich das Gefühl, wir würden gar nicht von der Stelle kommen.«
Trotzdem machen wir weiter, uns bleibt nichts anderes übrig. Wir stoßen auf weitere Namen von Personen, die in die Fälle verwickelt waren; auch wenn sie kaum als Opfer infrage kommen, sind sie doch potenzielle Opfer. Die Polizisten, die Whitby verhaftet haben. Die Detectives, die als Zeugen ausgesagt haben. Eigentlich gibt es keinen Grund, warum es Cole auf einen von ihnen abgesehen haben könnte, denn sie waren auf seiner Seite, trotzdem ist es durchaus möglich. Wir wissen, dass er Ariel Chancellor sucht, aber welche Bedeutung hat sie für ihn? Ist sie eine Tochterfigur, oder beschuldigt er sie, ihre beste Freundin dem Tod überlassen zu haben? Ich schaue immer wieder auf mein Handy, in der Hoffnung, dass Dr. Forster sich meldet. Ich rufe im Pflegeheim an, doch Schwester Hamilton hat bereits Feierabend gemacht.
Hier stehen noch weitere Kartons mit Beweisstücken. Gegenstände von dem Autounfall, bei dem der Polizeibeamte Jeffrey Dale getötet wurde. Er war ein paar Jahre älter als ich damals. Er war der erste Cop, der im Dienst gestorben ist, nachdem ich bei der Polizei angefangen hatte, und er sollte nicht der letzte sein. Ich kann mich noch erinnern, wie ich seine Frau in den Nachrichten gesehen habe, und ihre Kinder, eine Familie, die auseinandergerissen worden war. Ein Mann wollte für Gerechtigkeit sorgen und tötete dabei aus Versehen einen unschuldigen
Mann. Es war tragisch. Man konnte es verstehen, und man hatte Mitleid mit dem toten Cop und seiner Familie und mit dem Mann, der ihn ungewollt getötet hatte. All das war schwer zu ertragen.
Ich gehe zum Warenautomaten im Flur, werfe mehrere Münzen ein und ziehe vier Schokoriegel, die zusammen mehr Kalorien haben, als ich zählen kann. In diesem Moment trifft Erin Stanton, die Frau des entführten Arztes ein. Sie ist Anfang vierzig, ihr Make-up ist verwischt und ihr langes Haar völlig zerzaust. Sie trägt ein weißes Kleid und darüber eine Lederjacke, und in der Hand hat sie einen Motorradhelm. Ich schätze,
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