Haus des Todes
Als sie zu sich kam, sagte sie, dass sie diejenige sei, die man ausgewählt habe. Auf ihre Stirn hatte Caleb Cole Es tut mir leid geschrieben. Man hat sie ins Krankenhaus gebracht, sie gesäubert und ihr frische Sachen angezogen, als sie zu sich kam. Anschließend wurde sie aufs Revier gefahren. Bislang hat sie auf keine der gestellten Fragen geantwortet.
»Haben Sie hier keine freundlichere Umgebung?«, fragt Barlow.
»Wie zum Beispiel?«
»Na ja, ein Zimmer mit Bildern und Buntstiften und mit Spielzeug wär fürs Erste nicht schlecht. Ein Umfeld, in dem ein Kind sich wohler fühlt.«
»Das hier ist eine Polizeiwache«, sagt Schroder.
»Aber Sie befragen doch auch Kinder hier, oder?«
»Wir hatten mal so ein Zimmer«, sagt er, »aber wir mussten den Konferenzraum ausbauen. Hören Sie, das
Büro ist das Beste, was wir haben«, sagt Schroder, und er gibt sich Mühe, nicht wütend zu klingen, »wir dürfen keine Zeit verplempern.«
»Wir müssen uns aber Zeit nehmen, Detective. Ich kann nicht einfach …«
»Ich weiß«, sagt Schroder, »aber es stehen weitere Menschenleben auf dem Spiel, Doktor. Darum habe ich Sie angerufen. Und ich bin mir sicher, dass Sie in der Zeit, die uns zur Verfügung steht, Ihr Bestmögliches tun werden.«
Barlow nickt. »Schön formuliert, Detective«, sagt er lächelnd. »Also, was ist mit ihrer Mutter? Wie sieht es da aus?«
»Sie ist auf dem Weg hierher. Sie war mit ihrem Freund außer Landes. Mutter und Vater haben sich vor sechs Monaten getrennt. Sie hat ihn verlassen«, sagt er.
»Wir sollten auf sie warten«, sagt Barlow. »Vielleicht können sie uns helfen.«
Schroder schüttelt den Kopf, während ich sage: »Wir haben schon zu lange auf Sie gewartet.«
»Wenn wir nicht viel Zeit haben, muss ich allein mit ihr sprechen«, sagt Barlow, »und sollte ihre Mutter eintreffen, lassen Sie sie erst zu ihr, wenn ich mit ihr fertig bin. Da ihre Mutter die Familie im Stich gelassen hat, könnte ihre Anwesenheit dazu führen, dass Melanie weiter zumacht.«
»Ich muss Sie begleiten«, sagt Schroder.
»Nein, das geht auf keinen Fall«, erwidert Barlow und schüttelt den Kopf. »Zwei erwachsene Männer, die versuchen, mit einem elfjährigen Mädchen zu sprechen? Das
würde sie nur noch mehr verängstigen und stressen, erst recht, wenn einer dieser Männer unbedingt Antworten braucht. Sie ist keine Verdächtige, sie ist eine Zeugin, aber vor allem ist sie ein verängstigtes kleines Mädchen, das nicht weiß, wo seine Familie ist. Vertrauen Sie mir, wenn ich allein da reingehe, besteht die Chance, dass ich sie aus der Reserve locke. Wenn Sie mich jedoch begleiten, kann es sein, dass sie eine Woche lang keinen Ton mehr von sich gibt. Falls sie überhaupt noch mal was sagt. Ich weiß, was ich sie fragen soll, Detective. Sie wollen wissen, was der Mann, der sie entführt hat, gesagt hat. Was er ihnen angetan hat, und ob sie gehört hat, wo er als Nächstes hinwollte. Da er sie am Leben gelassen hat, halte ich es allerdings für äußerst fraglich, ob sie uns da weiterhelfen kann, Detectives.«
»Oder er hat sein Vorhaben schon umgesetzt, bevor wir irgendwas aus ihr herauskriegen«, gebe ich zu bedenken.
Barlow nickt. »Gut möglich«, sagt er. »Also, meine Herren, Sie haben mich angerufen, damit ich Ihnen helfe. Wie wär’s also, wenn Sie mich jetzt meine Arbeit machen lassen?«
Kapitel 35
Barlow geht in Schroders Büro, und ich betrete den Konferenzraum in der Aussicht auf ein Nickerchen, doch das Messer macht jede Hoffnung zunichte. Es handelt sich um einen Scherzartikel, dessen Klinge im Griff verschwindet.
Es liegt in einer versiegelten Plastiktüte mitten auf dem Tisch. Als ich ein Kind war, hat einer meiner Schulfreunde zum Spaß mit so einem Messer ständig auf sich eingestochen. Das war damals schon nicht witzig, und heute ist es das schon gar nicht. Dr. Stanton ist irgendwo da draußen, überzeugt, dass seine älteste Tochter tot ist, weil man sie zum Schein mit einem Spielzeug umgebracht hat, das entworfen wurde, um die Menschen zum Lachen zu bringen.
Auf dem Tisch stapeln sich die Prozessakten. Zwei Detectives sehen sie gerade durch. Wir achten darauf, dass die Akten zu Whitby und zu Cole auf getrennten Stößen bleiben. Ich setze mich hin und würde am liebsten meinen Kopf auf die Tischplatte legen und für ein paar Stunden abschalten, doch die Warnung des Arztes geht mir nicht mehr aus dem Sinn, und ich habe Angst, dass, sollte mein Kopf etwas anderes als ein Kissen
Weitere Kostenlose Bücher