Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Haus des Todes

Haus des Todes

Titel: Haus des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Cleave
Vom Netzwerk:
glücklich sein?
    Er legt Octavia auf die kastanienbraune Couch. Sie hat die Augen immer noch geschlossen.
    »Ich hole ihr eine Decke«, sagt Tabitha. Sie beugt sich hinter die Couch, greift nach einer Wolldecke und will sie damit zudecken.
    »Kannst du erst die Windel wechseln?«, fragt Caleb und stellt die Tasche auf den Boden.
    »Was?«
    »Die Windel. Sie ist nass.«
    »Warum tust du es nicht?«
    »Ich kann das nicht so gut.«

    »Und warum glaubst du, dass ich es kann?«
    »Weil …«
    »Weil was? Weil ich eine Frau bin?«
    »Ja.«
    »Schön«, sagt sie und nimmt die Sachen aus der Tasche. Dann legt sie die Decke auf den Boden und öffnet die Windel.
    »Du wirkst so normal«, sagt er. »Du hast tatsächlich ein neues Leben angefangen?«
    »Ja«, sagt sie.
    »Wie hast du nur vergessen können, was dir passiert ist?«
    »Ich habe es nicht vergessen«, sagt sie und erhebt zum ersten Mal die Stimme. »Das gehört zu der Tabitha, die ich jetzt bin.« Sie hebt die Hand und fährt sich damit über ihre Narbe, während sie gleichzeitig die Haare zurückschiebt. James Whitby hat sie ihr mit einem einzigen Stich seines Messers zugefügt. Sie verläuft von ihrem linken Ohr über ihre Wange bis zum Kinn. Als sie sich dabei ertappt, wie sie sie berührt, nimmt sie schnell die Hand wieder runter. »So kann ich anderen Menschen helfen«, sagt sie. »Anderen Frauen und Kindern, denen Ähnliches passiert ist. Ich betreue Vergewaltigungsopfer. Schließlich weiß ich, was diese Frauen durchgemacht haben. Ich kann mich gut in sie hineinversetzen und ihnen dadurch helfen.«
    »Du umgibst dich mit dem Schmerz anderer Leute?«
    »Weißt du noch, was du mir im Gefängnis erzählst hast?«, fragt sie und wirft die dreckige Windel in eine
Plastiktüte. Sie reibt das Baby trocken, schmeißt das Tuch zu der Windel und knotet die Tüte zu. Dann legt sie die neue Windel an. »Gut so?«
    Er nickt. Er kann sich noch an alles erinnern. Sie war nach einer langen Phase der Einsamkeit die erste Besucherin, die er hatte, und sie sollte auch die letzte bleiben. Zunächst haben ihn seine Eltern regelmäßig besucht, dann kamen sie immer sporadischer, und schließlich machte der Tod der Sache ein Ende. Seine Freunde haben ihn anfangs ebenfalls regelmäßig besucht, bis es einfach zu peinlich wurde. Vor sieben Jahren holte ihn dann ein Wärter aus seiner Zelle. Er habe Besuch. Caleb dachte, es wäre ein Reporter oder jemand, der ein Buch schrieb. Oder ein Anwalt, der gekommen war, um ihm irgendwas zu erzählen, was er nicht hören wollte. Auf diese Weise konnte er immerhin etwas Zeit totschlagen, und im Knast gab es unangenehmere Möglichkeiten als diese.
    »Du hast mir gesagt, ich sei es Jessica schuldig, für uns beide weiterzuleben«, sagt sie, »ich müsse doppelt so viel erleben, um all die Sachen zu tun, die sie nicht mehr tun kann. Du hast gesagt, ich müsse gut zu den Menschen sein, ihnen helfen.«
    »Weißt du noch, warum du mich besucht hast?«, fragt er.
    »Natürlich.«
    »Sag’s mir.«
    »Warum? Wozu?«
    »Weil ich hören will, wie du es sagst. Damit du dich daran erinnerst, dass wir auf derselben Seite stehen.«

    Sie schüttelt den Kopf. Die Windel sitzt jetzt, und sie zieht sie zurecht, dann legt sie Octavia aufs Sofa. Sie hüllt sie in die Decke, die sie ihr bis unters Kinn zieht.
    »Damit du dich daran erinnerst, dass du kurz davor warst, wegen eines Unfalls dein Leben wegzuwerfen, der …«
    »Es war kein Unfall«, sagt sie.
    Im Gefängnis hat sie ihm erzählt, sie erinnere sich kaum an das, was passiert sei, nachdem Whitby sie entführt hatte. Dass die Ärzte meinten, sie habe es verdrängt und es würde ihr eines Tages schon wieder einfallen. Er fand, die Ärzte hätten keine Ahnung, wovon sie redeten, andernfalls wäre Jessica noch am Leben. Tabitha sah das genauso. Und er war froh darüber. Er mochte sie. Dann hat sie ihm erzählt, wie sie eine Woche zuvor mit einer Freundin in einem Einkaufszentrum shoppen war. Dort war sie auf die Toilette gegangen, und vor dem Spiegel stand Victoria Brown und richtete ihr Make-up. Sonst war niemand im Raum. Ohne nachzudenken, trat Tabitha hinter Victoria Brown und stieß sie, so fest sie konnte, mit dem Kopf gegen den Spiegel. Das machte sie Caleb nur noch sympathischer. Sie hatte wegen der Sache ein schlechtes Gewissen. Es war nicht ihre Absicht gewesen, die Frau ins Koma zu befördern. Sie hatte es nicht geplant. Sie wusste nicht mal, woher diese Wut gekommen war. Sie und Caleb waren sich

Weitere Kostenlose Bücher