Haus des Todes
darin einig, dass die Ärzte recht gehabt hatten – dass der Schmerz über das, was ihr passiert war, in diesem Moment in ihr hochgekommen war.
Caleb meinte, sie müsse kein schlechtes Gewissen haben. Aber das habe sie nun mal, sagte sie. Und darum wolle sie zur Polizei gehen. Wenn sie sich stelle, erklärte Caleb ihr, würde das Victoria auch nicht helfen. Es sei richtig gewesen, dass sie jemanden davon abgehalten habe, sein Geld mit der Verteidigung von Kinderschändern zu verdienen, und wenn Tabitha dafür ins Gefängnis gehe, erwache Victoria auch nicht wieder aus dem Koma. Er sagte, sie würde nur ihr Leben wegwerfen. Doch das war ihr egal. Er glaubte ihr zwar, aber aufgrund seiner eigenen Erfahrung wusste er, dass ihr nicht klar war, was es bedeutete, sein Leben wegzuwerfen.
»Damals …«, sagt er, und für einen Moment ist er wieder im Gefängnis mit seinen kalten Wänden. Sie hatte ihm wortlos gegenübergesessen, und dennoch spürte er völliges Einvernehmen zwischen ihnen. Es war kein unangenehmes Schweigen. Dann lächelte sie, und ihr Gesichtsausdruck veränderte sich, es war ein trauriges Lächeln, doch durch die Bewegung der Muskeln unter ihrer Haut verschwand die Narbe. Tabitha sah jetzt wunderschön aus, oh ja, wunderschön. Und bei dem, was sie dann sagte, fühlte er sich zum ersten Mal nicht mehr ganz so allein. »Du hast dich bedankt für das, was ich getan habe«, sagt er. »Du hast dich dafür bedankt, dass ich James Whitby getötet habe. Wenn er jetzt noch am Leben wäre, würdest du dann wollen, dass ich ihn umbringe?«
»Nein.«
»Ich glaub dir nicht.«
»Meine Eltern waren sehr stark. Sie haben sich um mich gekümmert und mir jede nur erdenkliche Hilfe zukommen lassen. Und jetzt gebe ich etwas davon zurück, indem ich anderen helfe. Ich wünschte, du hättest deiner Familie gegenüber auch diese Stärke gezeigt.«
»Das habe ich. Ich habe getan, was sonst niemand tun wollte. Und diese Stärke hat dir und deiner Familie geholfen, den Blick nach vorn zu richten.«
»Das war keine Stärke. Sieh nur, wohin dich das geführt hat. Du hättest dir mit deiner Familie eine Zukunft aufbauen können.«
»Eine Zukunft? Meine Tochter ist ermordet worden. So etwas kann man nicht einfach hinter sich lassen.«
»So habe ich das nicht gemeint«, sagt sie. »Einige kommen damit zurecht, andere weniger. Man vergisst nicht, was passiert ist, aber nach einer gewissen Zeit kann man trotzdem ein ganz normales Leben führen.«
»Ein normales Leben«, sagt er, etwas anderes hat er nie gewollt. Doch es gibt keine Normalität mehr, wenn man am Telefon erfährt, dass die eigene Tochter verschwunden ist.
»A, b, d, b, f, c«, sagt Katy und starrt vom Flur aus zu ihnen herüber, das Gesicht zur Hälfte hinter dem Türrahmen verborgen. Als sie mitkriegt, dass die beiden sie bemerkt haben, tritt sie ins Zimmer.
»Das Haus ist schön«, sagt sie, »aber kleiner als meines. Haben Sie Kekse?«
»Wir haben welche da«, sagt Tabitha.
»Welche mit Schokolade?«
»Ja.«
»Ich mag die mit Schokolade, aber Daddy gibt sie uns nicht so oft.«
»Dein Daddy ist ein kluger Mann«, sagt Tabitha.
»So klug auch wieder nicht«, sagt Caleb.
Tabitha wirft ihm erneut einen wütenden Blick zu. Wenn sie nicht sparsamer damit umgeht, findet Caleb, wird sie bald keinen mehr übrig haben. Sie hebt die Plastiktüte mit der Windel auf, nimmt Katys Hand und führt sie in die Küche. Dort wirft sie die Tüte in den Müll, wäscht sich die Hände, holt aus der Speisekammer eine Packung Kekse und reißt sie auf. Sie bietet Katy einen an und Caleb ebenso. Doch der winkt ab.
»Gibt es hier Spielzeug?«, fragt Katy.
»Im Schlafzimmer sind ein paar Plüschtiere. Wie wär’s, wenn du rübergehst und damit spielst?«
Katy verschwindet, und Caleb und Tabitha gehen ins Esszimmer. Er lehnt sich gegen die Wand und sie sich an den Tisch.
»Hast du eine Freundin?«, fragt er, während er eines der Fotos neben sich betrachtet.
»Was tut das jetzt zur Sache?«
»Ist sie hier?«
»Nein, aber sie wird bald zurück sein. Was hast du mit den Mädchen vor?«
»Nichts.«
»Wirst du ihren Vater töten?«
»Nein.«
»Nein?«, sagt sie, und auf ihrer Stirn bildet sich ein
halbes Dutzend Falten. Er hat bestimmt noch nie jemanden gehört, der so misstrauisch klang.
»Ich habe in den letzten zwei Tagen vier Menschen getötet«, sagt er, worauf sie vor ihm zurückweicht. »Es gibt keinen Grund zu lügen.«
»Vier?«
»Letzte Nacht ist noch
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