Haus des Todes
weder, wo Ariel noch Caleb sich aufhalten könnten.«
»Er sucht nach ihr«, erkläre ich. »Wenn wir Ariel finden, finden wir vielleicht auch ihn.«
»Sie denken wahrscheinlich, dass wir sie inzwischen aufgegeben haben«, sagt Mrs. Chancellor. »Weil wir es
zulassen, dass sie auf den Strich geht, aber das stimmt nicht. Wir lieben sie, und wenn wir sie nach Hause holen könnten, würden wir das tun.«
»Sie wird auf der Straße sterben«, sagt Harvey mit leicht brüchiger Stimme und zeigt zum ersten Mal echte Gefühle für seine Tochter. Ein Teil von ihm sieht in ihr bestimmt noch das kleine Mädchen von den Bildern an der Wand. »Da bin ich …«, sagt er und verliert die Fassung, aber nur ein bisschen, weil das nun mal so Harvey Chancellors Art ist. »Da bin ich mir sicher.«
Seine Frau wirft ihm einen vieldeutigen Blick zu – signalisiert ihm so, dass sie ihn liebt, dass er ihr leidtut und dass sie wünschte, er würde nicht so denken. Obwohl sie beide es tun.
»Wenn Sie sie finden, sagen Sie ihr, dass sie nach Hause kommen soll, ja?«, sagt Mrs. Chancellor, den Blick immer noch auf ihren Mann gerichtet.
»Ich tu mein Bestes.«
»Ich bringe Sie zur Tür«, sagt Harvey, und wir stehen auf.
Als ich ins Freie trete, folgt er mir und schließt die Tür hinter sich. Und ich drehe mich zu ihm um. »Einer der Namen hat Sie ziemlich irritiert, Harvey. Warum erzählen Sie mir nicht, was Sie vor Ihrer Frau nicht sagen wollten?«
»Hören Sie«, sagt er, doch es kommt nichts, und das Einzige, was ich höre, ist die Nacht mit ihren Geräuschen – in der Parallelstraße fährt ein Wagen vorbei, irgendwo läuft Wasser, und da hinten wird eine Tür zugeschlagen. Ich lasse ihn mit dem ringen, was er zu sagen
hat. Sollte er es jedoch nicht ausspucken, werde ich es aus ihm herausprügeln.
»Ich höre«, sage ich, nachdem zehn endlos lange Sekunden verstrichen sind.
»Es ist so, ich habe Sie in den letzten Jahren immer wieder in den Nachrichten gesehen«, sagt er, und ich frage mich, wohin das führt und ob ich mich gleich verteidigen muss. »Zwei Serienmörder sind umgekommen, und jedes Mal waren Sie bei ihnen, als es passierte. Außerdem ist der Mann, der Ihre Tochter getötet hat, gestorben.«
»Er hat das Land verlassen«, erkläre ich.
»Ich werfe Ihnen nichts vor«, sagt er, »aber die Sache ist die, ich habe das Gefühl, dass Sie ein Mann sind, der das Richtige tut, auch wenn es nicht unbedingt legal ist. Hab ich recht?«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Beantworten Sie einfach die Frage, mein Sohn«, sagt er.
Ich merke, dass ich die Luft anhalte. Und atme geräuschvoll aus. »Mr. Chancellor, Harvey, wenn Sie etwas …«
»Beantworten Sie einfach die Frage, mein Sohn, das würde die Sache um einiges beschleunigen.«
»Das Richtige.«
»Immer?«
»Das war meine Antwort. Was wollen Sie mir also sagen?«
»Es gibt noch einen weiteren Brief.«
»Was?«
Chancellor nickt, während er redet, diesmal ist seine Geste allerdings ausladender. »Caleb hat meiner Tochter noch einen weiteren Brief geschrieben.«
»Was für einen Brief?«
»Das war vor sechs, sieben Jahren. Meine Frau weiß nichts davon. Keiner. Es steht etwas drin, das ich damals der Polizei hätte mitteilen sollen, aber ich wollte nicht, dass noch einer weiteren Person wehgetan wird.«
»Wem?«
»Wenn ich Ihnen den Brief zeige, geben Sie mir dann Ihr Wort, dass Sie ihn nur dazu benutzen, Caleb zu finden, und zu sonst nichts?«
»Ich kann das nicht versprechen, ohne ihn gesehen zu haben«, sage ich.
»Dann vergessen Sie, was ich Ihnen gerade erzählt habe«, sagt er. Ohne sich umzudrehen, greift er hinter sich nach der Tür. »Und bevor Sie mir drohen, ich habe den Brief nicht. Ich habe ihn weggeworfen und kann mich nicht mehr genau daran erinnern, was drinsteht, und wenn Sie Ihre Zeit damit verschwenden, ihn sich zu besorgen, kommt sowieso jede Hilfe zu spät.«
»Es steht das Leben zweier Mädchen auf dem Spiel«, rufe ich ihm ins Gedächtnis. »Eines davon ist acht, das andere erst ein Jahr alt.«
»Ich weiß. Und die Zukunft eines weiteren Mädchens. Ich sage das nicht einfach nur dahin, Detective. Sie haben ja keine Vorstellung, wie oft ich das im Laufe der Jahre durchgespielt habe, bis ich eine Antwort für mich gefunden hatte, nur um mir die Frage erneut zu stellen, gerade
wenn ich glaubte, ich wäre zu einem befriedigenden Ergebnis gekommen. Machen Sie schon, geben Sie mir Ihr Wort, und Sie können losziehen und sie
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