Haus des Todes
schlechten Geschmack haben, was Toupets betrifft«, sagt er und ringt sich ein Lächeln ab.
»Und ist Ihnen jemand aufgefallen, der sich hier rumgetrieben hat?«
Er schüttelt den Kopf. »Wie gesagt, niemand hält sich gern in der Nähe von uns alten Leuten auf.«
»Was hat er beruflich gemacht?«
»Was? Na ja, nichts. Wie alle hier.«
»Ich meine vor dem Ruhestand.«
»Ach so, natürlich«, sagt er und schenkt mir ein trauriges Lächeln. »Er war Anwalt.«
»Was für ein Anwalt?«
»Keine Ahnung, um ehrlich zu sein. Er hat kaum davon erzählt. Nichts Spektakuläres, na ja, nach dem zu urteilen, was ich so im Lauf der Zeit gehört habe. Vertragsrecht, er hatte mit dem Verkauf von Immobilien zu tun, Routinesachen, für die man vierhundert Dollar die Stunde hinblättern muss.«
»Wann ist er in den Ruhestand gegangen?«
Er zuckt die Achseln und rechnet im Kopf nach. Währenddessen scheint der Rest seines Körpers den Dienst einzustellen, und für fünf Sekunden erstarrt er zu einer Säule. Entweder die übersinnliche Verbindung zu Herbs
Frau steht immer noch, oder er hat inzwischen Kontakt mit Herb selbst aufgenommen, denn auf einmal hat er eine Antwort.
»Ein paar Jahre bevor seine Frau starb«, sagt er. »Eigentlich wollte er sich noch nicht zur Ruhe setzen, aber er wurde krank. Er war Raucher, wissen Sie. Das hat seine Lunge zerstört. Er hat ungefähr zu der Zeit mit dem Rauchen aufgehört, als er seinen Job an den Nagel hängte. Damals erklärten ihm die Ärzte, er habe noch etwa zwei Jahre zu leben, doch seine Frau starb vor ihm. Vor fünf Jahren hat man ihm dann gesagt, er würde innerhalb von sechs Monaten sterben. Seitdem erzählt man ihm drei- oder viermal im Jahr, er habe nur noch zwei Monate zu leben, und das wird auch die nächsten paar Jahre so weitergehen …«
Als er seinen Fehler bemerkt, hält er mitten im Satz inne. Er hebt eine Hand und wischt sich wieder ein paar Tränen aus dem Gesicht; seine Finger zittern so sehr, dass ich fürchte, er könnte dabei ernsthaft seine Augen verletzen.
»Sie werden doch den Mann, der das getan hat, schnappen, oder?«
»Ja.«
»Was passiert dann mit ihm?«
»Er kommt ins Gefängnis.«
Er nickt langsam, doch ich merke, dass ihm das nicht reicht. »Während des Kriegs haben wir die Dinge selbst in die Hand genommen«, sagt er. »Es gab einen Burschen, wir haben die Sache für uns behalten, weil …«, hebt er an, doch dann fällt ihm wieder ein, dass es einen Grund gibt,
warum sie die Sache für sich behalten haben. »Das ist ihm nicht gut bekommen«, sagt er. »Ich wünschte – Herrgott, ich wünschte, ich könnte fünf Minuten allein mit dem Mann verbringen, der Herb das angetan hat.«
Fünf Minuten allein mit Herbs Mörder wären für Bernard Walsh bestimmt kein Spaß. Vor vierzig Jahren hätte es das vielleicht sein können, aber inzwischen nicht mehr.
»Haben Sie gesehen, was man ihm auf die Stirn geschrieben hat?«, frage ich.
Er nickt.
»Sagt Ihnen das irgendwas?«
»Herb war ein mitfühlender Mensch«, sagt er. »Das ergibt keinen Sinn.«
Manchmal tut es das, manchmal nicht, aber das werde ich nicht mit ihm erörtern. Ich danke ihm für seine Mühe, und er trottet davon und gesellt sich zu der stetig größer werdenden Menge älterer Menschen, die erst mal die schlechten Neuigkeiten verkraften müssen, Menschen, die es gewohnt sind, dass man ihre Freunde in der Horizontalen von hier fortträgt. Am nächsten Tag werden sich einige von ihnen nicht mal mehr daran erinnern, was überhaupt passiert ist – vielleicht ist Alzheimer gar keine Krankheit, sondern der natürliche Mechanismus des Körpers, mit so etwas fertigzuwerden. Die Zeugenaussagen werden von Beschreibungen längst verstorbener Ehemänner und Ehefrauen wimmeln, die diese Leute vor zwanzig Jahren zum letzten Mal gesehen haben.
Schroder hat einen Styroporbecher mit Kaffee in der
Hand und wirkt jetzt etwas standfester, er spricht mit dem Mann, der bei unserer Ankunft ebenfalls auf der Veranda stand. Der Mann gestikuliert wild mit den Händen, als würde er Bilder in die Luft malen, und Schroder muss ihm mit seinem Kaffee ausweichen, damit er nicht getroffen wird. Ich gehe zu ihnen hinüber, um herauszufinden, worüber sie reden, als erneut Schroders Handy klingelt.
Nickend lauscht er der Stimme am anderen Ende, und als er auflegt, ist er ganz blass.
Der Mann, mit dem er sich eben unterhalten hat, ist an den Rand der Veranda getreten, um mit einer jüngeren Frau zu
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