Haus Ohne Hüter
nicht?«
»Die Vornamen von Generälen haben mich nie interessiert.«
»Oh, weshalb sind Sie böse?«
»Böse«, sagte sie, »nennen Sie das böse, wie wenn ein kleines Mädchen aus
mit dem bösen Ding. Aber vielleicht wußten Sie nicht, daß mein Mann
gefallen ist?«
»Ich wußte es«, sagte er, »Pater Willibrord erzählte es mir, ich wußte es vorher schon. Wer weiß es nicht? Verzeihen Sie.«
»Was soll ich Ihnen verzeihen? Daß man meinen Mann abgeknallt hat? Kaputt«, sagte sie, »abgeschnitten der Streifen, aus, was kein Traum, sondern Wirklichkeit werden sollte. Ins Archiv geschmissen Ȭ such dir die Fetzen zusammen. Da nimmt man ȇ s nicht so genau mit den Vornamen von Generälen.« Er fuhr schweigend, respektvoll schweigend eine lange Strecke, und sie sah seinem Profil an, daß er an den Krieg dachte: Erinnerungen an Härte, an Sentimentalität und an Erwin. »Wie heißt Ihr Referat?«
»Mein Referat? >Was haben wir von der Lyrik der Gegenwart zu erwarten ?<«
»Werden Sie über meinen Mann sprechen?«
»Ja«, sagte er, »kein Mensch kann über Lyrik sprechen, ohne von Ihrem Mann zu sprechen.«
»Mein Mann fiel bei Kalinowka«, sagte sie. Sie blickte ihn an, er staunt und enttäuscht darüber, wie wenig gespannt sie war: Sein Gesicht veränderte sich nicht. »Ich weiß«, sagte er, »und ist es nicht merkwürdig, daß ich glaube, auch an diesem Ort gewesen zu sein. Im Sommer 42 war ich in der Ukraine. Merkwürdig, nicht?«
»Ja«, sagte sie, und sie wünschte, er möge es nicht sein. »Alles vergessen«,
sagte er, »systematisch meine Erinnerung geschlachtet. Man muß den Krieg vergessen.«
»Ja«, sagte sie, »und die Witwen und Waisen und alles, was dreckig war,
und eine schöne, saubere Zukunft bauen. Das Vertrauen auf die Vertrauensbank werfen. Den Krieg vergessen und die Vornamen der Generäle behalten.«
»Mein Gott«, sagte er, »es kann schon vorkommen, daß man in die Diktion
früherer Jahre zurückfällt.«
»Ja«, sagte sie, »eben: Es ist aber eben die Diktion früherer Jahre.«
»Ist es so schlimm?«
»Schlimm?« sagte sie. »Schlimme Jungen nennt man die Schlingel, die Äpfel mausen, und für mich ist es etwas anderes als schlimm, wenn ich Ihre
Gedicht für Ihre Anthologie geben, wenn Sie nicht einen Brief dazunehmen,
den ich aussuche. Er haßte den Krieg, haßte Generäle, das Militär Ȭ und ich müßte Sie hassen, aber merkwürdig, Sie langweilen mich nur.«
Er lächelte, und es gelang ihm, jene Schmerzlichkeit in Stimme und
Physiognomie zu legen, wie sie von der Amateurdramaturgie vorgeschrieben war: »Warum müßten Sie mich hassen?«
»Ich müßte Sie hassen«, sagte sie, »wenn ich nicht da aufgehört hätte zu leben,
wo mein Mann starb. Das wollte ich: seinen Haß weiterhassen, denn er, wenn er Sie gekannt hätte, heute oder damals, er hätte Sie nur geohrfeigt. Das hätte mir gelingen müssen, weiterzutun, was er getan hätte, weiterzuhandeln, zu denken, wie er dachte und mich zu denken gelehrt hatte: Ohrfeigen an Leute verteilen, die den Krieg vergessen haben, aber mit Schuljungensentimentalität die Vornamen von Generälen aussprechen.«
Er schwieg, und sie sah, daß er die Lippen zusammenkniff. »Wenn Sie
ehrlich wären und den Krieg verherrlichten, Ihr ganzes verhindertes Sieger Ȭ Ressentiment aufrichtig durchspielten Ȭ aber es ist ein wenig schaurig, daß Sie ausgerechnet Referate halten müssen mit Titeln: >Was haben wir von der heutigen Lyrik zu erwarten ?<«
Gäseler fuhr langsam. Sie erkannte zwischen hohen Buchen das Vorwerk von
Schloß Brennen: ein barockes Lusthaus, von fetten, mit Ausflüglerbutterbroten gefütterten Tauben umschwärmt.
Dilettantischer Werbefilm mit schlechter Beleuchtung, ohne Happy Ȭ End,
denn der Kuß, der vor der Barockfassade von Schloß Brernich fällig war, der Kuß würde nicht stattfinden. Sie sehnte sich nach Hähnels Eissalon, nach Luigis Lächeln und der Platte, die er auflegte, sobald sie den Laden betrat, nach dem Augenblick, wo die Melodie ausklinkte. Sie sehnte sich nach Martin, nach Albert und nach dem imaginären Gäseler, den sie hatte hassen können. Dieser kleine Streber flößte ihr keinen Haß ein: Er war nicht der schwarze Mann, der Bösewicht, wie Mutter ihn in des Jungen Phantasie zu graben versuchte: Eitel war er, nicht einmal dumm, und er würde Karriere machen. »Lassen Sie mich hier aussteigen«, sagte sie. Er hielt, ohne sie anzusehen, und sie öffnete die Tür und sagte: »Lassen Sie mein
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