Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
Vom Netzwerk:
zu Hause.«
    »Dann geh gleich, Onkel Albert regt sich auf.« Martin schüttelte stumm den
    Kopf und wandte sich Wilma zu, die aus der Ecke auf ihn zukroch.
    »Du bist gemein«, sagte Brielach, »du bist richtig gemein.« Brielach beugte sich

    über seinen Bogen und schrieb weiter. Wilma machte sich über Martins Schulranzen her. Martin setzte sich auf den Fußboden zwischen Tür und Bett, nahm Wilma auf den Schoß, aber sie machte sich lachend los, nahm die Tragriemen des Schulranzens und schleifte den Ranzen ein Stück seitwärts. Martin beobachtete sie müde. Wilma versuchte den Ranzen zu öffnen. Sie riß an der Schlaufe, ohne sie vorher aus dem Bügel zu ziehen. Er zog den Ranzen zu sich herüber, nahm die beiden Schlaufen aus den Bügeln, schob den Ranzen Wilma wieder zu, und als sie jetzt riß, löste sich der Nickelstift aus dem Loch, und sie schrie vor Genugtuung, riß schnell auch die zweite Schlaufe auf, und als auch der zweite Stift sich prompt löste, schrie sie noch lauter vor Glück, und mit einem energischen Ruck klappte sie den Deckel des Ranzens auf. Martin lehnte sich gegen die Wand und sah ihr zu.
    »Oh, wie gemein du bist«, sagte Brielach, ohne aufzusehen, und als Martin
    nicht antwortete, sagte Brielach: »Du machst dich ganz schmutzig, versaust deine Hose.«
    Brielach hatte das wichtige, das Geld Ȭ Gesicht. Martin antwortete nicht, obwohl ihm auf der Zunge schwebte: Du mit deinem Geld Ȭ Gesicht. Aber er sagte es nicht, weil es zu gefährlich war, von Geld zu sprechen. Er hatte es einmal getan, um gegen Brielachs Geld Ȭ Wichtigkeit einen Trumpf auszuspielen, hatte einmal davon gesprochen, daß sie immer Geld hatten: Albert und die Mutter, die Großmutter.
    Danach war Brielach sechs Wochen nicht gekommen, hatte sechs Wochen
    nicht mit ihm gesprochen, und Onkel Albert hatte ihn überreden müssen, wiederzukommen. Diese sechs Wochen waren schrecklich gewesen. So sagte er nichts, stützte die Beine hoch, umklammerte die Knie mit den Händen und sah Wilma zu. Sie war voll beschäftigt: Sie nahm alle Bücher heraus, das Le Ȭ dermäppchen, klappte das zuoberst liegende Buch auf und zeigte mit ihren Fingern auf die Illustration zu einer Rechenaufgabe. Oh, der Kuchen, der in vier, in acht, in sechzehn, in zweiunddreißig Teile geteilt werden konnte, der 2, der 3, der 4, der 5, der 6 Mark kosten konnte und von dem man ausrechnen sollte und mußte, wieviel jeweils das Stück kostete. Dieser Kuchen fesselte Wilmas Aufmerksamkeit; sie schien zu begreifen, was es war, und schrie eins
    Aber auch die Bananen aus Afrika, die im Einkauf die Tonne Ȭ wieviel Kilo hatte eine Tonne? Ȭ soviel kosteten, auf die soviel Prozent aufgeschlagen wurden, so daß sie im Verkauf das Kilo wieviel kosteten Ȭ auch die Bananen waren für Wilma Zucker, das große Käserad, das Brot und der Mehlsack. Der Mann, der den Mehlsack trug, hatte eine finstere Physiognomie Ȭ und für Wilma war er Leo, während der freundlich lächelnde Bäcker, der die Mehlsäcke zählte, Papa war. Drei Worte konnte Wilma sprechen: Leo, Papa und Zucker. Papa war das Bild an der Wand, Papa waren alle Männer, die ihr sympathisch, Leo alle Männer, die ihr unsympathisch waren.
    »Kann ich mir ein Margarinebrot machen?« fragte Martin müde.
    »Gern«, sagte Heinrich, »aber ich würde nach Hause gehen an deiner Stelle. Onkel Albert war sehr aufgeregt, und es ist schon eine Stunde her, daß er hier war.« Als Martin nichts sagte, sagte er heftig: »Oh, gemein bist du«, und er fügte leiser hinzu: »Mach dir ein Butterbrot.«
    Sein Gesicht nahm an Wichtigkeit zu, und Martin wußte, daß er gern gefragt
    worden wäre und gern erklärt hätte, welch wichtiges Problem er zu lösen beauftragt war. Aber er würde ihn um keinen Preis fragen. Er versuchte, nicht an Onkel Albert zu denken, denn langsam verwandelte sich seine Wut auf Albert in ein schlechtes Gewissen. Es war blöde gewesen, ins Kino zu gehen, und er suchte langsam die Wut wieder zusammen. Immer häufiger wurde auch Albert zum Zettelschreiber, abgerissen vom Rand der Zeitung waren sie. Die Zettel trugen eine lakonische Mitteilung, und das entscheidende Wort war dreimal unterstrichen. Das dreimalige Unterstreichen war eine Erfindung der Mutter. Es waren immer Hilfswörter, die sie dreimal unter Ȭ strich: sollte Ȭ mußte Ȭ konnte Ȭ durfte nicht. »Steh auf«, sagte Brielach gereizt, »du versaust deine Hose. Mach dir ein Butterbrot.«
    Martin stand auf, klopfte sich den Dreck von der Hose und

Weitere Kostenlose Bücher