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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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Gepäck auf mein Zimmer bringen.« Er nickte,
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    und sie beobachtete sein Profil und wartete so vergebens auf eine Spur
    Mitleid, wie sie vergebens auf den Haß gewartet hatte. Pater Willibrord kam mit ausgebreiteten Armen auf sie zu. »Herrlich, Nella«, sagte er, »daß Sie gekommen sind. Ist dieser Tagungsort nicht wunderbar?«
    »Ja«, sagte sie, »er ist wunderbar. Hat die Tagung schon begonnen?«
    »Schurbigel hat eben ein glänzendes Referat gehalten, und alle warten ungeduldig auf Gäseler. Es wird sein Debüt in unserem Kreis.«
    »Ich möchte auf mein Zimmer«, sagte sie. »Kommen Sie«, sagte Pater
    Willibrord, »ich bring ȇ Sie hin.« Sie sah Gäseler mit seiner Aktentasche und ihrem Koffer die Schloßtreppe hinaufgehen, aber als sie mit Pater Willibrord näher gekommen war, was Gäseler schon weg, und ihr Koffer stand vor der Pförtnerloge.

    15

    Die Straßenbahnermütze hing nicht oben an der Garderobe. Im Flur roch es nach Bouillon und heißer Margarine, in der Brielach immer die Kartoffeln briet. Ganz oben im Haus sang Frau Borussiak: »Die Rasenbank am Elterngrab«. Sie sang schön und sang deutlich, und ihr Gesang kam die Treppe herunter wie etwas, das ausgegossen wurde: freundlicher Sprühregen. Er sah die zerkratzte Wand, auf der mehr als dreißigmal das Wort hingeschrieben worden war. Eine Gipsspur unter dem Gaszähler bewies, daß kürzlich erst wieder der stumme Zweikampf stattgefunden hatte. Dunkles Gebrumm der Hobelmaschine kam aus der Tischlerei: friedliches Donnern, das die Wände des Hauses leise und stetig erzittern machte, heller werdend, knatternd fast, wenn das Brett ganz durch den Schlund der Maschine gerutscht war. Dazwischen das hellere Knurren der Fräse; die Lampe im Flur war in leiser, stetiger Schwingung, und von oben kam der kräftige, schöne Gesang, der wie ein Segen über ihn ergossen wurde. Das Fenster zum Hof hin stand offen. Unten stapelte der Lehrjunge mit dem Meister Holz. Der Lehrjunge pfiff leise mit, was Frau Borussiak sang, und im rechten Fenster der ausgebrannten Hinterhausfassade schwebte ein Flugzeug ruhig im hellen Blau des Himmels: sanfter Brummer, der ein Transparent
    hinter sich herzog. Das Flugzeug verschwand hinter dem Mauerpfeiler zwischen den beiden Fenstern, tauchte im zweiten Fenster auf; grau, schwebend im hellen Himmel, schleppte sich das Flugzeug von Fenster zu Fenster, langsam wie eine Libelle, die einen zu schweren Schweif hinter sich herzieht. Erst als es hinter der Hinterhausruine heraus war, sich über dem Kirchturm langsam drehte, konnte er lesen, was auf dem Transparent stand, Wort für Wort, so wie das Flugzeug schwenkte und seinen Schweif vors Licht zog: Bist du auf alles gefaßt ? Frau Borussiak sang immer noch; warm war ihre Stimme, kräftig, und Frau Borussiak zu hören, bedeutete für ihn, sie zugleich zu sehen. Blond war sie wie seine Mutter, sehr blond, aber voller, und in ihrem Mund paßte das Wort ganz und gar nicht. Auch ihr Mann war gefallen, und sie hatte früher Frau Hörn geheißen. Jetzt hatte sie einen anderen Mann, der Geldbriefträger war, und sie war richtig mit Herrn Borussiak verheiratet, wie Grebhakes Mutter mit Herrn Sobik verheiratet war. Herr Borussiak war freundlich wie seine Frau. Er brachte Onkel Albert Geld, auch der Mutter. Frau Borussiak hatte nur größere Kinder. Der älteste hieß Rolf Hörn, es war der, der mit den Meßdienern übte. Und an der Tafel der Kirche stand: »Petrus Canisius Hörn 1942.« Auf derselben Tafel stand oben:
    »Raimund Bach, 1942.« Brielachs Vater stand auf einer anderen Tafel in der Paulskirche: »Heinrich Brielach 1941.« Er wartete, bis die Hobelmaschine aussetzte, und lauschte nach Brielachs Tür hin. Manchmal nahm Leo die Mütze mit hinein, aber er hörte von Leo nichts, wandte sich vom Fenster ab und wartete vor der Tür einen Augenblick, bevor er sie öffnete.
    »O weh«, sagte Brielach, »Onkel Albert sucht dich.« Brielach saß am Tisch
    und schrieb. Einen Bogen Papier hatte er vor sich liegen, einen Bleistift in der Hand, und nun blickte er mit einem wichtigen Gesicht auf und sagte: »Oder warst du inzwischen zu Hause?« Martin haßte Brielach, wenn er das wichtige Gesicht aufsetzte, er haßte es, wenn Brielach Ȭ was er oft tat Ȭ sagte: »Davon verstehst du nichts.« Und er wußte, daß Brielach dann Geld meinte. Gewiß verstand er von Geld nichts, aber er haßte es, wenn Brielach sein wichtiges, sein Geld Ȭ Gesicht aufsetzte. »Nein«, sagte er, »ich war noch nicht

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