Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
Vom Netzwerk:
Flüßchen zwischen Wiesen und Wald, und da war sie, die unvermeidliche Mühle, deren Rad sich munter klappernd drehte, holde Musik im Tal der idyllischen Brer.
    »Mein Gott, wie schön«, sagte er. »Schön«, sagte sie.
    Mißtrauischer Blick, heilendes Lächeln, die Kurbel drehte sich. Für Augenblicke vergaß sie, daß er Gäseler war, und die Langeweile kam wie eine plötzliche Krankheit über sie. Gähnen und das mühsame Aufrechterhalten der Konversation, um ihn nicht merken zu lassen, wie sehr sie sich langweilte. Er glaubte, sie
199
    köstlich zu amüsieren, indem er ihr erzählte, welcher und wie vieler Intrigen
    es bedurft hatte, um Redakteur beim Boten zu werden.
    Sie fuhren jetzt in mäßigem Tempo durch eine friedliche Landschaft: Wiesen und Hecken tauchten auf, Vieh drängte sich an die Zäune, und hier, nicht weit vom Staudamm entfernt, hatte die Brer fast den Charakter eines Wildbachs. Wahrscheinlich hatte der Staudammwärter gerade den Hebel umgelegt und ließ Frische, ließ Idyllik in die Brer strömen. Sie rauchte, um die Langeweile zu bekämpfen. Der Film, der jetzt ablief, schien von einem sehr gutwilligen, sehr eifrigen Amateur gedreht worden zu sein: reizloses, graues Licht, das alles flach erscheinen ließ wie auf schlechten Fotografien in langweiligen Alben, Fotografien, die zu leben anfingen; haufenweise Alben, die sie alle noch würde betrachten müssen. Tödliches Grau, durch den Druck eines Stümpers auf einen Kameraknopf fixiert: das Grau, wie sie es aus den Fotoalben von Schulfreundinnen kannte, gestapelte Langeweile in gestreiften Alben voller Fotografien, die dünkelhafte Drogisten in Badeorten entwickelt hatten: Sommerfrischenstationen zwischen Flensburg und Medina, zwischen Calais und Karlsbad; festgehalten, was des Festhaltens schon wert war: Langeweile in Gruppen und einzeln, Langeweile 8x 8 oder 16 x 12 und hin und wieder die großflächige Langeweile: Lotte am Golf von Medina: 24 x 18, unsterblich gemacht im Album Numero 12, das Lottes Lebenslauf vom Staatsexamen bis zur Verlobung illustrierte. Dann kam Album Numero 13 Ȭ oh, wir sind nicht abergläubisch Ȭ , das ganz und gar der Hochzeit und der Hochzeitsreise gewidmet war: Langeweile mit und ohne Schleier, Langeweile mit und ohne Unschuld. Kanntest du Bernhards Vater schon? Nein? Da war er: unbekannter Lächler, unsterblich gemacht im Format 8x6. Und prompt in Album Numero 14 das Baby. Süß, süß, süß Ȭ mit genialer Sicherheit graue Schatten ihm ins Gesicht retuschiert. Gewiß würde er an der landschaftlich so besonders reizenden Stelle halten, würde sie zu küssen versuchen, und aus seiner Aktentasche würde die Leica herausgezogen. Eingeklebt ins Album: Nella an der großen Biegung, wo Straße 8 sich gabelt, wo man unten die Brer sieht. Rechts lag der Staudamm im Wald: idyllischer See, idyllischer Wald. Das Flüßchen unten, Dorf und Barockkirchturm und der große, ebenfalls barocke Gasthof »Zum blauen
    Schwein«. Ȭ Oh, Sie wußten noch nicht, wieso er das blaue Schwein heißt? Ȭ
    Nein. Ȭ Oh, hören Sie Ȭ und die Anekdote, noch einmal ein Kuß, ausgestiegen, geknipst den Barockkirchturm, geknipst das blaue Schwein, ebenfalls barock — und wie durch ein Wunder kam genormte Langeweile aus der Drogerie zurück.
    »Ist es nicht süß?« »Ja, süß.«
    Sie war die Strecke oft gefahren, früher mit Rai und in den letzten Jahren mit Albert, und sie hatte sich nie gelangweilt. Nicht einmal den barocken Kirchturm und das blaue Schwein hatte sie langweilig gefunden, aber nun langweilte sie sich so sehr, daß ihre Gereiztheit langsam hochstieg, wie das Quecksilber an heißen Tagen im Thermometer steigt.
    »Halten Sie«, sagte sie heftig, »lassen Sie mich einen Augenblick Luft schöpfen.«
    Er hielt, sie stieg aus, ging ein paar Schritte in den Wald hinein, und schon hörte sie den Knacks und sah ihn, die Leica auf der Brust, vorne am Wagen stehen.
    Sie ging zurück und sagte leise: »Geben Sie den Film heraus!« Er blickte sie
    blöde an.
    »Geben Sie den Film her, nehmen Sie ihn heraus!« Langsam, die Stirn runzelnd, öffnete er den Apparat, nahm den Film heraus und gab ihn ihr. Sie riß die Spule auf, rollte den Streifen ab und zerriß ihn.
    »Ich hasse Fotografien«, sagte sie ruhig, »versuchen Sie nicht mehr, mich zu
    knipsen.«
    Sie stieg wieder ein, beobachtete ihn von der Seite und war für Augenblicke amüsiert über die bockige Gekränktheit, die sein Profil zeigte: leicht aufgeworfene Lippen. Prompt hielt er

Weitere Kostenlose Bücher