Haus Ohne Hüter
daß es jetzt unmöglich war, ihn um Vorschuß zu bitten. Zwölfhundert Mark und solch ein kakaofarbenes Gesicht. Er küßte ihren Arm, soweit er ihn über den Tisch hin erreichen konnte, ließ sie aber plötzlich los und murmelte:
»Feierabend, wir machen Schluß...«
»Nein, nein«, sagte sie, und sie griff sich eine Marzipanrolle und pinselte mit Schokolade das Ornament darauf: zierliche Girlande und eine Schokoladenkappe.
»Warum?« sagte er, und sie erstaunte, wie wenig demütig seine Stimme
klang, »warum, wir können doch ausgehen.« Seine Augen leuchteten, und plötzlich lachte er und sagte: »Oh, du.«
»Nein«, sagte sie, »wir arbeiten weiter.«
Sie wollte nicht so geliebt werden, sie hatte Angst. Gert hatte nicht ein einziges Mal von Liebe gesprochen Ȭ nicht einmal ihr Mann, lachender Gefreiter, lachender Unteroffizier, lachender Feldwebel, zusammengeschmort zwischen Saporoshe und Dnjepropetrowsk Ȭ nicht einmal der hatte von Liebe gesprochen, nur hin und wieder davon geschrieben, aber das war etwas anderes. Schreiben konnte man es. In Leos Wortschatz gab es das Wort nicht, und sie fand es gut so: Liebe gab es im Film, gab es in Romanen, im Rundfunk, in Liedern. Im Film gab es Männer, deren Augen plötzlich leuchteten und deren Gesichter sich vor Leidenschaft verfärbten, blaß wurden oder kakaofarben. Aber sie wollte damit nichts zu tun haben. »Nein, nein«, sagte sie, »jetzt wird gearbeitet.« Er sah sie schüchtern an, nahm wieder ihre Hand, und sie ließ sie ihm: Als wäre ein Kontakt geschlossen, leuchteten seine Augen, saugte sich sein Gesicht kakaofarben voll, und wieder küßte er ihre Hand, küßte den Arm und murmelte rhythmisch geordnetes, unverständliches Zeug über ihre Hand, über ihren Arm hin: »Hand«, verstand sie Ȭ »Hand Ȭ glücklich.« Sie schüttelte den Kopf und lächelte: Wie in Liedern, wie im Film war es. Der blasse, gedunsene Kopf, spärlich werdendes Haar, kakaofarbene Leidenschaft, grünliches Glück Ȭ und der bittersüße Geruch aufgelöster Kakaoschokolade,
Er ließ ihre Hand los, und sie arbeiteten einige Minuten weiter. Am liebsten hatte sie die flachen, handtellergroßen Gebäckstücke, die viel Fläche zum Pinseln boten Ȭ sandfarbener, frisch ausgebackener Teig, auf den sie Blumen malen konnte, Bäumchen, Tiere, Fische; und die Farbe war die der Eiernudeln aus Bambergers Fabrik: gelbe, so saubere Nudeln, blaue Packungen und knallrote Bilderschecks.
Auch das riß ihn zur Bewunderung hin: ihre Fähigkeit, mit leichter Hand
hübsche Ornamente zu erfinden, leichte, ganz runde, auf das gelbe Gebäck gemalte Schokoladenbälle, Fensterchen mit Gardinen.
»Oh, du bist eine Künstlerin.«
Oben im Hause war das Zimmer leer, seitdem der Gehilfe weggelaufen war. Eine große Kammer, der Wasserhahn auf dem Flur und die saubere, schöne, frisch gekachelte Toilette; Dachgarten, von Blumen umrankt, und niemandes Nachbar; der Rhein in der Nähe, Kamine der Schiffe, das wild erregende Tuten und bunte Wimpel am Horizont.
Seine Hände zitterten, als er die große knusprige Platte zerschnitt:
sandfarbene Rhomben, die sie mit einem Schokoladenrand versehen und bemalen mußte, bevor sie mit Creme gefüllt und aufeinandergelegt wurden. Häuschen malte sie darauf, qualmende Kamine, Fensterläden und einen Gartenzaun. »Oh, entzückend«, rief er, und seine Augen leuchteten. Zierliche Gardinen, bogenförmige Antennen, Telefondrähte, Spatzen, Wolken, ein Flugzeug. »Oh, du bist eine Künstlerin.«
Nur wenig, vielleicht gar keine Miete würde sie zahlen müssen, und nebenan war das kleine Kämmerchen mit dem Gerumpel, das vielleicht für den Jungen frei zu machen wäre: Biskuitkartons, Reklame Ȭ Pappefiguren, der hellblaue Zwiebackjunge und der silberne Kater, der Kakao trank. Zerrissene Mehlsäcke lagen herum und Bonbonkisten aus Blech. Und das winzige Fensterchen Ȭ schon sah sie eine hübsche Gardine dran Ȭ und der Blick auf den Park und den Rhein.
Wieder schluchzendes Gestammel des Glücks über ihrer Hand. Aber er hatte
Kinder gern, würde gerne welche haben, und sie wollte keine Kinder mehr: blasse, demütige Bälger würden den Dachgarten bevölkern, Kinder mit schweren, weißen, zärtlichen Händen Ȭ und Heinrich in drei Jahren als
mehlbestaubt kam er von »Arbeit«, und morgens fuhr er mit dem
Brötchenkorb los, stellte knusprige, frische Brötchen in Papiertüten vor die Villentüren oder zählte sie in bereithängende Leinensäcke.
Der Bäcker nahm die
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