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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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überstieg den Zaun, der an der Terrasse des Cafes vorbeilief. Das Kind kam über den Rasen auf Nella zu, und drüben schrie eine Frau:
    »Geh nicht zu nah ran.«
    Nella erschrak; sie beobachtete das Kind, das seine Geschwindigkeit verringerte und zögernd näher kam. »Hörst du nicht«, schrie die Mutter,
    »geh nicht zu nah ran.« »Fünfzehn Grad«, sagte der Wärter. »Na, das geht doch«, sagte Nella.
    »Wie Sie wollen.«
    Sie ging langsam mit dem Bademeister auf das Haus zu. Ein Mann mit der Tür der Kabine 9 kam ihnen entgegen. »Neue Fitschen müssen rein«, sagte er. Der andere nickte.
    Drinnen gab ihr der Wärter einen orangenfarbenen Badeanzug, eine weiße Gummikappe, ein Badetuch. Sie gab ihre Handtasche ab und ging in eine Kabine. Es war still, und sie hatte Angst. Der Traum gelang ihr nicht mehr; Rai kam nicht mehr, er kam nicht mehr so, wie sie ihn haben wollte. Traumzimmer wurden geräumt, Wohnungen gab sie preis, Straßen, in denen sie in ihren Träumen gelebt hatten, hörten auf zu existieren. Zerschnitten der Streifen, und die Bilder rollten flach in den Horizont hinein, der sie zu sich hinsog Ȭ so wie Badewasser im Abflußrohr verschwindet: ein Gurgeln wie der letzte Schrei eines Ertrinkenden Ȭ ein letzter Seufzer, und der Stoff, aus dem sie ihre Träume gebildet hatte, war verschwunden Ȭ weggesackt. Es blieb etwas, das dem Geruch der Badezimmer ähnlich war: Wärme, leicht muffig, das Aroma stark parfümierter Seife, letzte kleine Gerüche von verbrauchtem Gas, ein nachlässig behandelter Rasier Ȭ
    pinsel stand auf dem Glasbord, und es war Zeit, das Fenster zu öffnen. Draußen wartete das langweilige Licht eines Werbefilms, stimmungslos, ohne Nuancen; Mörder waren festbesoldete Streber, hielten Vorträge über Lyrik und hatten den Krieg vergessen. » Geh nicht zu nah ran, kannst du nicht hören«, schrie die Mutter draußen, und Nella hörte ihrer Stimme an, daß der Mund nicht ganz leer war. Sahnekuchen behinderte die elterliche Vibration: klumpig zusammengeklebte Bissen aus Schlagsahne und gelben Zwischenschichten. Aber dann war die Stimme schrill und frei. »Gib acht Ȭ gib doch acht.« Wie das Rülpsen des im Abfluß verschwindenen Wassers kam es in Nella hoch. Der Beigeschmack künstlicher Erinnerung Ȭ und die Stimme Gäselers, seine Hand, die tödliche Langeweile seiner Gegenwart. So sahen Mörder aus: Fummler am Steuerrad, die kleine Kasinogeilheit in der Stimme, forsche Lenkung des Wagens. Hinuntergeschluckt waren endgültig die Sahnekuchenstücke, und die Mutterstimme rief: »Sei nicht so wild.« Der Rasen war noch nicht gereinigt, und überall lagen die Deckel von Limonadenflaschen herum, verrostet, mit ausgezackten Rändern, und Nella ging zurück, zog die Schuhe über die Füße und lief bis zum Bassin, um sich zu erwärmen. Das kleine Mädchen stand zwischen Terrasse und Bassinrand, und drüben lehnte die Mutter, geblühmte Masse, übers Geländer und gab acht.
    Die Stufen zum Wasser waren glatt und moosig. Ferne über den Baumkronen,
    hinter dem Cafe, sah Nella das Dach von Schloß Brernich mit der Fahne des christlichen Kulturbundes: ein goldenes Schwert, ein rotes Buch und ein blaues Kreuz auf weißem Grund. Südwind wehte, und die Fahne stand leise zitternd im hellblauen Himmel.
    Sie zog die Schuhe aus, warf sie nach rückwärts auf den Rasen, stieg langsam hinunter, netzte die Füße, griff mit beiden Händen ins Wasser und spritzte sich systematisch ab. Es tat wohl und war weniger kühl, als sie erwartet hatte. Mehr Wasser nahm sie, tiefer stieg sie hinab, bis zu den Knien, bis zur Hüfte, der Badeanzug saugte sich voll, und zwischen Haut und Badeanzug rieselte es kühl an ihr hinunter. Sie beugte sich nach vorn, sprang los und schwamm in langsamen, kräftigen Zügen hinaus. Sie lachte leise vor sich hin, weil es so wohl tat, und es machte ihr Freude, die ruhige, grüne Wasserfläche zu zerteilen. Der Bademeister stand
    auf dem Einmeterbrett, beschattete mit der Hand die Augen und sah ihr zu. Sie winkte ihm mit der Hand, als sie drüben kehrtmachte, und er winkte zurück. Das Mädchen hinten auf der Wiese bewegte sich nur einen halben Schritt, und schon schrie die geblühmt behangene Masse: »Geh nicht so nah ran.« Das Kind setzte gehorsam den rechten Fuß wieder zurück. Nella legte sich auf den Rücken und schwamm langsamer. Ihr war warm genug. Der fremde Badeanzug roch leise nach Tang. Am Himmel zog ein unsichtbares Flugzeug eine breite, weiße Schleppe hinter sich

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