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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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stundenlang Fußball spielten Ȭ auch Albert spielte dann mit Ȭ , wenn sie spielten, angelten oder durchs Brertal bis an den Staudamm wanderten: Sonnenschein und keine Sorgen. Immer das Gefühl, daß es schiefgehen würde. Bangigkeit vor dem
    würde Martin auf die höhere Schule kommen. Wilma murmelte im Schlaf,
    Spielzeug lag auf der Erde verstreut, und das Lesebuch war noch aufgeschlagen. Sankt Martin ritt durch Schnee und Wind, das goldene Schwert schnitt den Mantel entzwei, und der Bettler sah wirklich jämmerlich aus: nackte Gestalt, knochiges Männchen im Schnee.
    »Du mußt jetzt gehen«, sagte Brielach, »Mensch, Onkel Albert wird verrückt vor Angst.«
    Martin schwieg. Er war selber halb eingeschlafen. Müde war er, hungrig, und er fürchtete sich, nach Hause zu gehen, nicht weil er Albert fürchtete, sondern weil er wußte, daß es gemein war, was er tat.
    »Oh«, sagte Brielach, und seine Stimme klang nicht fremd, nicht wichtig,
    sondern traurig in das Dösen hinein. »Du bist gemein. Wenn ich einen solchen Onkel hätte wie Albert, ich würde...«, aber er sprach nicht weiter, weil seine Stimme fast vor Tränen brach, und er wollte nicht weinen, versuchte sich nur vorzustellen, wie es sein könnte, wenn Albert sein Onkel wäre. Albert als Straßenbahnschaffner kam hin. Er paßte in die Uniform Ȭ und Albert bekam alle sympathischen Züge von Gert, von Karl und seine eigenen hinzu, und es kam gut, kam passend, aber milde aus Alberts Mund, das Wort, das Gert hinterlassen hatte: »Scheiße«. Scheiße war kein typisches Albert Ȭ Wort, aber es kam nicht fremd aus seinem Mund.
    Es war still. Draußen brummte gemütlich der Flieger vorbei, der seine Schleppe durch den Himmel zog: »Bist du auf alles gefaßt«; und plötzlich sang Frau Borussiak wieder. Sie sang ihr Lieblingslied, schleppende, dunkle Süße:
    »Oh, Maria hilf« Ȭ Stimme wie langsam tropfender, milder Honig, Heldin, die die Rente preisgegeben hatte, um nicht unmoralisch zu sein, im Hafen veran Ȭ kerte, schöne, runde Blondine, immer Bonbons in der Tasche, Honigbonbons. »Jammertal« sang sie Ȭ »in diesem Jammertal.« Fern nur noch war der Flieger zu hören. »Am Montag«, sagte Martin leise, ohne die Augen zu öffnen, »gehn wir ins Kino. Es bleibt doch dabei. Wenn deine Mutter, nicht frei hat, kann Bolda solange das Kind nehmen.«
    »Ja«, sagte Brielach, »gut, es bleibt dabei.« Er wollte die Teilnahme am
    Ausflug aufkündigen, aber er brachte es nicht über sich. Es war zu schön in Bietenhahn, obwohl die Bangigkeit dort kommen würde, ein Gefühl, das ihm
    von der dritten Welt, die zuviel war. Die Welt der Schule und seine eigene, zwischen diesen beiden ließ sich leben, wie sich auch jetzt noch zwischen seiner Welt und der Kirche leben ließ. Noch war er nicht unmoralisch, hatte nichts Unschamhaftes getan. Die Bangigkeit in der Kirche war wieder eine andere: Gewißheit, daß auch das nicht gutgehen würde: zuviel war unter Ȭ halb, zuwenig oberhalb der Eisschicht. Jammertal war gut. Frau Borussiak sang es.
    »Wir gehen nicht ins Atrium«, sagte Martin, »der Film ist blöd.«
    »Wie du willst.«
    »Wie ist es im Monte Carlo ?«
    »Nicht jugendfrei«, sagte Brielach. Ȭ Üppige blonde Schönheit, die eine dürftig bekleidete Frau Borussiak hätte sein können. Allzu heftig wurde sie von einem braunhäutigen Abenteurer geküßt. Vorsicht blond und der rote Streifen unterhalb des Busens: Jugendverbot Ȭ wie eine gefährliche Schärpe, die den braunhäutigen Abenteurer mit umschloß. »Vielleicht im Boccaccio ?«
    »Mal sehen«, sagte Brielach, »der Plan hängt in der Bäckerei.« Still war es,
    leise zittere das Haus vom gleichmäßigen Strom der Autos draußen, und die Fenster klirrten leise, wenn ein Lastwagen oder der Omnibus 34 vorüberfuhr.
    »In diesem Jammertal«, sang Frau Borussiak.
    »Du mußte jetzt nach Hause«, sagte Brielach, »sei nicht so gemein.«
    Martin fühlte sich gemein, müde und elend, und er öffnete die Augen nicht.
    »Ich geh ȇ jetzt die Mutter abholen. Dann geh mit, und wir sehen nach, was im
    Boccaccio gespielt wird.«
    »Wilma schläft.«
    »Weck sie auf, sonst schläft sie heute abend nicht ein.« Martin öffnete die Augen. Im Lesebuch ritt Sankt Martin durch Schnee und Wind, und sein goldenes Schwert hatte den Mantel schon fast ganz durchgeschnitten, »...in unserer großen Not«, sang Frau Borussiak. Brielach wußte: Leo würde nicht zahlen, aber er würde es Leo vorrechnen und die Rache für

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