Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
Vom Netzwerk:
Neu?? .
    Er setzte sich wieder. 18,70 hatte die Großmutter dem Kellner gegeben:
    klirrendes Scheckausreißen, und ihm wurde bange, weil Geld näherrückte, Formen annahm, die sich überschauen ließen, 28, Ȭ DM wöchentlich und 18,70 fürs Abendessen. Laß es Brielach besser gehen!
    Unten fuhr ein Auto in den Hof der Tischlerei, und er hörte sofort, daß es
    Albert war, und gleich darauf der Ruf im Hof: »Martin!«
    Frau Borussiak kam die Treppe herauf. Sie war doch bloß im Milchgeschäft gewesen, Joghurt für Herr Borussiak und Honigbonbons für die Kinder. Wieder rief Albert im Hof: »Martin!«, es war kein lauter, ein ängstlicher, fast schüchterner Ruf, und das beunruhigte ihn mehr, als ein lauter Ruf ihn geängstigt hätte. »Oh, Maria hilf«: tropfender Honig in der Stimme, gut und warm und süß.
    Martin stand auf, ging vorsichtig ans Fenster und öffnete es einen Spalt weit.
    Er erschrak über Alberts Gesicht. Albert sah grau aus, alt und sehr traurig. Der Tischler stand bei ihm. Er öffnete das Fenster ganz.
    »Martin«, rief Albert, »so komm doch, bitte.« *
    Alberts Gesicht veränderte sich, er lächelte, wurde rot, und Martin rief hinunter: »Ich komme, ja, ich komme.« Durchs offene Fenster hörte er Frau Borussiak: »Grün war das Land meiner Kindheit« Ȭ und er sah Grün: grünen Albert, grünen Tischlermeister, grünes Auto und grünen Hof, grünen Himmel. Grün war das Land meiner Kindheit. »Komm doch, Kind«, rief Albert.
    Er steckte die Bücher in den Ranzen zurück, öffnete die Tür, schloß sie von
    außen ab und legte den Schlüssel unter die Matte, und wieder schwebte der Flieger langsam von Fenster zu Fenster, verschwand hinter den angeflammten Mauerresten, wendete wieder über dem Kirchturm, drehte seinen Schweif vor den grünen Himmel, und er las: Bist du auf alles gefaßt? Hörte zugleich Frau Borussiak singen: »Grün war das Land meiner Kindheit. « Er stieg seufzend die Treppe hinunter, ging in den Hof und hörte den Tischler sagen: »Ist eine Schande mit dem Kerl.« Onkel Albert sagte nichts. Sein Gesicht war grau und müde, und er spürte, daß Alberts Hand heiß war.
222
    »Komm«, sagte Albert, »wir haben noch eine Stunde Zeit, ehe wir Heinrich abholen. Geht er mit?«
    »Ich glaube ja.«
    Albert gab dem Tischler die Hand, und der Tischler nickte ihnen zu, als sie einstiegen.
    Albert legte, ehe er schaltete, seine Hand auf Martins Hand. Er sagte gar nichts, und Martin hatte immer noch Angst. Nicht vor Albert Ȭ wegen etwas anderem, das er nicht verstand. Albert war anders als sonst.

16

    Als der Lehrjunge gegangen war, legte der Bäcker wieder seine Hand auf ihre Hand. Er stand ihr gegenüber und schob ihr die fertig geformten Marzipanrollen zu, die sie mit Schokolade zu bestreichen hatte, und als sie hinübergriff, legte er seine Hand auf ihre Hand, und sie ließ seine Hand dort liegen. Sonst hatte sie immer die Hand abgeschüttelt, gelacht und gesagt: »Laß doch, es hat keinen Zweck.« Aber nun hatte sie ihn gewähren lassen und erschrak über die Auswirkungen dieser kleinen Gunst. Dunkel stieg es in das blasse Gesicht des Bäckers, das vom Mehlstaub befreit war; eine merkwürdige kurze Starre kam in seine Augen, und plötzlich leuchteten diese grauen Augen, und sie hatte Angst, wollte die Hand jetzt wegziehen, aber der Bäcker hielt sie fest. Noch nie hatte sie gesehen, daß ein menschliches Auge plötzlich richtig leuchtete: grünliches Feuer schien die sonst matten Pupillen zu erfüllen, und des Bäckers Gesicht wurde dunkel wie Kakao. Sie hatte das Wort Leidenschaft für lächerlich gehalten, aber nun wußte sie, was es war, und sie wußte, daß es zu spät war.
    War sie denn wirklich so hübsch? Alle Männer hatten sie hübsch gefunden, und sie wußte, daß sie es war, immer noch, obwohl die Zähne zu wackeln anfingen Ȭ aber in keines Mannes Augen war plötzlich ein Licht aufgegangen, und keines Mannes Gesicht hatte sich plötzlich kakaofarben von innen her vollgesogen. Der Bäcker beugte sich über ihre Hand und küßte sie. Trockene, rührende, kindliche Küsse Ȭ und er murmelte etwas dazu, was sie nicht verstand: dumpfe, faszinierende, rhythmisch geordnete Litanei aus
    unverständlichen Worten. Nur langsam schälte sich ein Wort heraus, das sie
    Mein Gott, war er wirklich glücklich, daß er ihre Hand halten durfte?
    Trockene Küsse, und die schwere, warme Hand. Rhythmisch wie die Hymnen, die er auf die Liebe sang, war auch sein Gestammel, und ihr fiel ein,

Weitere Kostenlose Bücher