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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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Unterschlagung genießen. Zwanzig Mark mußte Leo im Monat mehr zahlen, dazu würde er noch monatlich zehn Mark einsparen, und der Zahnarzt würde mit dreißig Mark im Monat zufrieden sein. Blieb nur die Anzahlung:
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    dreihundert Mark, unerbittlicher Berg, unersteigbarer Gipfel Ȭ nur ein
    Wunder konnte zu dreihundert Mark verhelfen, aber es mußte geschehen, das Wunder, denn die Mutter weinte wegen der Zähne. Leo würde natürlich keinen Pfennig mehr zahlen, und es würde Streit geben. Wenn schon keinen anderen Vater, dann wenigstens einen anderen Onkel. Alle Onkel waren besser als Leo.
    »Weck Wilma auf, wir müssen gehen.«
    Martin schüttelte das Kind vorsichtig, bis es die Augen aufschlug.
    »Mutter«, sagte er leise, »komm, du gehst zur Mutter.«
    »Und du gehst nach Hause«, sagte Brielach, »sei nicht so gemein.«
    »Laß mich«, sagte Martin.
    Die Mutter war verreist, Bolda schrubbte die Kirche, und Albert Ȭ Albert mußte bestraft werden. Albert hatte Angst, wenn er nicht pünktlich kam, aber Albert sollte Angst haben. Glum und Bolda waren doch die besten; er würde ihnen etwas schenken: Glum Künstlerfarben und Bolda ein neues Gebetbuch, rotes Leder, und eine blaue Leinenmappe, um die Filmprogramme zu sammeln. Die Mutter würde nichts bekommen und Albert nichts: Zettelschreiber, dreimal unterstrichene Hilfswörter: Ȭ mußte Ȭ sollte Ȭ konnte Ȭ durfte nicht. »Mach doch voran«, sagte Brielach, »ich muß abschließen.«
    »Nein, ich bleibe hier.«
    »Kann ich Wilma dann hierlassen?«
    »Nein, nimm sie mit.«
    »Wie du willst. Leg, wenn du gehst, den Schlüssel unter die Matte, aber gemein ist es. Oh...« Er hatte wieder sein wichtiges, sein Geld Ȭ Gesicht. Martin sagte nichts. Er ließ Brielach gehen und blieb auf dem Boden sitzen. Er hörte draußen auf der Treppe Frau Borussiak mit Wilma sprechen, dann sprach sie mit Brielach, und alle zusammen gingen die Treppe hinunter. Nun war er allein, und Frau Borussiak würde nicht singen. Aber vielleicht ging sie nur ins Milchgeschäft und holte Joghurt. Herr Borussiak aß immer Joghurt.
    Andere Jungen hatten es besser: Poskes Mutter war immer zu Hause, sie
    strickte, nähte und war immer, wenn Poske aus der Schule kam, zu Hause.
    kocht, und es gab Nachtisch. Pullover strickte Frau Poske, Strümpfe mit schönen Mustern, Hosen nähte sie und Kleider, und das Bild von Poskes Vater hing vergrößert an der Wand. Es war sehr vergrößert, fast so groß wie das Bild seines Vaters in der Diele. Poskes Vater war Obergefreiter gewesen: lachender Obergefreiter mit Ordensschnalle auf der Brust. Behrendts Onkel und Grebhakes neuer Vater, auch Welzkams Onkel waren gut, nicht wie Onkel Leo. Sie waren fast wie richtige Väter. Onkel Leo war der gemeinste Onkel, und Onkel Albert war ein richtiger Onkel, keiner, der sich mit seiner Mutter vereinigte. Brielach hatte es am schlechtesten, noch schlechter als er. Brielach mußte rechnen, hatte einen schlechten Onkel, und Martin betete verzweifelt: Laß es Brielach besser gehen. Er schämte sich, zu Brielach so gemein gewesen zu sein, ihn nicht gefragt zu haben, als er hereinkam. Laß es Brielach besser gehen. Es ist zu schwer für ihn. Brielachs Mutter war unmoralisch , aber er hatte nichts davon. Behrendt und Welzkam hatten durch unmoralisch wenigstens gute Onkel, Regelmäßigkeit: Frühstücksei, Pantoffeln, Zeitung. Für Brielach aber kam bei unmoralisch nicht einmal etwas heraus. Brielach mußte zuzahlen. Laß es Brielach besser gehen, betete er, besser. Es ist zu schwer für ihn. Rechnen, rechnen, und Leo bezahlte nicht die Margarine, bezahlte nicht das Ei, nichts für Brot, und das Mittagessen war zu billig. Für Brielach stand es sehr schlecht. Wichtig, wirklich wichtig war, was er tat, und er durfte nicht, wenn er wirklich Wichtiges tat, auch ein wichtiges Gesicht machen? Er hätte noch Lust auf But Ȭ terbrote gehabt, aber er schämte sich plötzlich, daß er überhaupt welche gegessen hatte. Laß es Brielach besser gehen. Er dachte daran, was die Großmutter bezahlte, wenn er mit ihr ausging, in Vohwinkels Weinstube. Einmal hatte er die Rechnung gesehen, 18,70 Ȭ er stand auf, nahm Brielachs Zettel und las rechts: Zahnarzt 900, Ȭ DM, links stand Fürsorge 150?
    Kasse 100?
    Vorschuß ??? Rest ???
    Wirre Zahlen standen da, ineinandergeschobene, druchgestrichene kleine Divisionsaufgaben 100 : 500 mal 40 (Margarine), Brot Ȭ Essig Ȭ wirres Gekritzel, aber da stand es deutlich: wöchentlich bis jetzt: 28, Ȭ DM.

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